Die politische Erzählung, Schirrmacher und Köhler

von , 21.6.10

Frank Schirrmacher hat in der F.A.S. einen Text veröffentlicht, in dem er im Kern beklagt, dass Politik zu einer unterhaltenden Inszenierung nach den Eigengesetzlichkeiten der literarischen Erzählung verkommt (Hervorhebungen Carta):

Die ästhetischen, die Unterhaltungskategorien in der Politik sind nicht neu, aber sie haben sich schleichend verselbständigt und sind im Begriff, .

Was dabei vergessen wird: Politische Erzählungen folgen nicht politischen, sondern strengen ästhetischen Gesetzen. Sie haben nichts mit der „Wahrheit“ zu tun, nicht mit dem, was wirklich so gewesen ist, oder gar der Abwägung von Meinungen – im Gegenteil, sie brauchen Zuspitzung, Konflikt und Spannungsbögen, sie folgen Gesetzen ausgefeiltester Berechnung. Wir sind im Begriff, nur noch eine Politik zu honorieren, die dieser Aufmerksamkeitsökonomie folgt.

Bemerkenswerterweise hat genau dies auch Horst Köhler, um dessen Amt es ja geht, in einer Rede vor der Bundespressekonferenz beklagt (via Thomas Leif). Köhler sagte zum Jubiläum der Presse-Institution im Oktober (Hervorhebungen Carta):

Mir fiel zum Beispiel auf, wie viele von Ihnen sich einig waren in der Beurteilung des zurückliegenden Wahlkampfs. Ich hege da einen schlimmen Verdacht: Ich glaube, vielen von denen in den Medien, die vorgeblich im Namen der Demokratie und im Kampf gegen die Politikverdrossenheit nach mehr Schärfe, mehr Ideologie, mehr Angriff verlangten, denen ging es gar nicht um die Demokratie: Bestenfalls hatten sie Langeweile, und schlimmstenfalls vermissten sie etwas, womit sie ihre Quoten und Auflagen steigern wollten. Und wissen Sie was? Ich glaube, viele Leute da draußen haben das durchschaut.

Unterhaltung ist wichtig, auch in Ihrem Metier. Aber als Mittel der Information. Nicht zu ihrem Ersatz. Schon jetzt haben viel zu viele Menschen den falschen Eindruck, der Zweck von Politik sei Unterhaltung. Diese Entwicklung ist ungut. Für die Demokratie. Und auch für die, die über sie berichten.

Verleger und Redaktionen sollten innere Einkehr halten. Und sie werden verstehen, dass am Anfang der deutschen Pressekrise die Qualitätskrise steht; die sinkende Leistung so vieler Zeitungen, die es zuwege gebracht haben, dass das Publikum sich mit ihnen langweilt, statt anzuregen. Die Zeit für eine innere Reform der deutschen Presse, einen Prozess der Selbstreinigung, ist überreif.

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