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Leistungssschutzrecht: Fragwürdiger Schutz vor der Medienevolution

von , 24.6.10

Am kommenden Montag werden die Presseverleger ihre Vorstellungen von einem Leistungsschutzrecht erstmals dem Justizministerium in einer Anhörung präsentieren. Schon heute ist abzusehen, was sie dort vortragen werden:

1. “Das ist kein gutes Geschäft. Man kann mit Journalismus im Internet derzeit nicht verdienen.” (Zitat von Leistungsschutzvordenker Christoph Keese)

2. “Das Netz quillt über mit Informationen – wir organisieren die Rangreihenfolge. Das ist die Leistung, die wir bringen”. (ebenfalls Christoph Keese)

Punkt 1 ist bemerkenswert: Wollen die Presseverleger ernsthaft behaupten, dass es – trotz millionenfacher Nachfrage nach redaktionellen Inhalten – langfristig niemandem im Internet gelingen sollte, Angebot zu refinanzieren? Das wäre wohl das erste Mal, dass der Nachfrage kein Angebot folgen würde. Es wäre ein volkswirtschaftliches Wunder – bedenkt man, dass der Online-Werbemarkt in Deutschland bereits heute nach verschiedenen Berechnungen zwischen rund 800 Mio. und 1,5 Mrd. Euro umfasst. Die jüngsten Rekordergebnisse eines Großverlags – auch und gerade im Onlinebereich – weisen in eine ähnliche Richtung.

Bei der Forderung nach einem Leistungsschutz geht es letztlich um den Anspruch einer Branche,  ein besonderes Schutzrecht und politisch abgesicherte Einnahmen zu erlangen; insbesondere unter Umgehung bewährter Mechanismen der Wettbewerbs- und Kartellkontrolle.

Es geht damit im Kern um die Behauptung, dass Presseverlage im Internet eine unverzichtbare Informations- und Selektionsleistung erbringen (s.o.), die nur aufgrund einer Veränderung des Urheberrechts auch in Zukunft angeboten werden könne.

Quantifizierung der Leistung traditioneller Medien

Ein solcher Anspruch kann nun durchaus wissenschaftlich untersucht – und damit verifiziert oder falsifiziert werden. Insbesondere sollte man vergleichen, was klassische Online-Medien und “alternative Online-Medien” im Vergleich leisten. Bei letzteren würde wohl nur ein Teil der Anbieter in den Genuss von Leistungsschutzrechts-Abgaben kommen.

Was leisten Online-Medien eigentlich? Hierzu habe ich in einer zur Veröffentlichung eingereichten Studie 40 Online-Auftritte (Einstiegsseite) von Zeitungen, Fernsehsendern (als potentielle Mittler zwischen Print- und Onlinebereich), sowie von bekannten Blogs über mehrere Monate (Januar – Mai) untersucht. Dabei habe ich die Veröffentlichungen nach informationstheoretischen Konzepten auf ihre Informationsdichte und mögliche Redundanzen hin analysiert.

Informationsgeschwindigkeit

Zunächst habe ich mittels des “bag of words“-Ansatz untersucht, wie viel Änderung im Mittel ein Online-Auftritt bezüglich des Vortags erfahren hat. Diese Quantifizierung basiert auf der Berechnung der Unterschiede (relativen Informationsentropie) zwischen den „bags of words“ der einzelnen Quellen an den jeweiligen Tagen. Eine sortierte Liste ist in der Tabelle 1 angegeben, die eine grobe Charakterisierung des jeweiligen Mediums enthält:

Tabelle 1: Die untersuchten Medien, absteigend sortiert nach mittlerer, täglicher Informationsänderung.

Tabelle 1: Die untersuchten Medien, absteigend sortiert nach ihrem täglichen Informationsoutput

Es fällt hier auf, dass die Online-Medien eher im hinteren Bereich angesiedelt sind. Hier zeigt sich der Unterschied zwischen Unternehmen mit teils großen Redaktionen und Online-Projekten, die teilweise nur auf individueller Motivation oder der Arbeit kleinerer Gruppen basieren. Dieser Schritt der Analyse zeigt, dass in den Online-Auftritten der traditionellen Medien sicherlich mehr geschrieben wird, oder besser gesagt: sich der Inhalt von Tag zu Tag in einem größeren Umfang ändert. Aber ist es auch qualitativ so, dass der oben genannte Anspruch eines unverzichtbaren Mehrwerts für den Konsumenten erfüllt wird? Hierzu lohnt es sich, als zweiten Schritt das „Zeitverhalten“ anzuschauen.

Zeitverhalten

Analysiert man, inwieweit die Quellen in ihrem Informationsfluss zeitgetrieben sind, stellt sich überraschenderweise heraus, dass hier eine „komplette“ Durchmischung der zwei Arten von Medien (explizit online vs. Online-Angebote klassischer Zeitungen) stattfindet. Obwohl zunächst bestimmte Ereignisse (etwa ein Euro-Einbruch, der Rücktritt des Bundespräsidenten etc.) einen Anstieg in den klassischen Medien in einer Art Synchronisation nahelegen, so wurde dies empirisch nicht als signifikant genug gefunden, um sich von eventuellen „Bursts“ in den Online-Medien zu unterscheiden. Bezüglich der temporalen Anordnung unterscheiden sich daher die beiden Medienarten nicht wesentlich – dem „Newsjunkie“, dem es auf den Reiz des Neuen ankommt, kann es also beinah egal sein, ob er sich bei einem typischen IT-Blog oder einem bekannten Wochenjournal informiert.

Nachdem also einerseits der Unterschied von Tag zu Tag eher für eine höhere Quantität der traditionellen Medien spricht, andererseits es keinen zeitlichen Zusammenhang dieser Medien untereinander bzgl. ihrer Aktivität gibt, stellt sich nun die Hauptfrage: wie redundant sind denn die Inhalte?

Redundanz in den Inhalten

Die Analyse der Unterschiede mittels der relativen Informationsentropie zwischen den einzelnen Quellen kann weiterhin genutzt werden um deren Ähnlichkeit in der Schwerpunktsetzung in den “bag of words” der einzelnen Quellen, besonders dadurch natürlich ihren Differenzierungsgrad zu untersuchen. Nicht überraschend ist, dass eine hohe Redundanz zwischen den einzelnen Medien vorhanden ist. Dies liegt daran, dass die meisten der Quellen Tageszeitungen sind, die gewöhnlich ein homogenes Themenspektrum haben. Allerdings wurden auch rund ein Dutzend Lokalblätter hinzugezogen, so dass sich eine Differenzierung durch den lokalen Bezug ergeben sollte. Auch wurden zwei ausländische, deutschsprachige Zeitungen mit aufgenommen. Die Ergebnisse finden sich in Grafik 1:

Grafik 1: Hierarchische Zuordnung. Aus Gründe der Übersichtlichkeit sind die Namen durch Symbole der zwei Hauptgruppen ersetzt worden. Lediglich besonders interessante Funde sind mit Bezeichnern angegeben.

Grafik1: Ähnlichkeitszerlegung der über Monate gemittelten bag-of-words aller Medien. Je länger der Weg von einem Medium zum anderen entlang der Linien, desto verschiedener ist der Text-Output.

Die Blogs bilden eine einheitliche Untergruppe (sind also auch eher redundant untereinander). Dadurch dass sich Blogs und traditionelle Medien aber tendenziell nicht „mischen“, zeigt sich, dass wir von getrennten Welten sprechen. Daher dürfen Blogs und reine Online-Medien mindestens als Ergänzung zu traditionellen Medien angesehen werden. Eine landesspezifische Ordnung konnte nicht gefunden werden, da sowohl die NZZ, als auch Der Standard „mitten“ in den traditionellen Medien zu finden sind.

Auch die beiden öffentlich-rechtlichen TV-Sender, die nach einem Entwurf zum Leistungsschutzrecht nicht in den Genuss von Zahlungen kommen sollen, sind über den Baum “verteilt”. Dies legt nahe, dass die Ungleichbehandlung, wie sie in dem Entwurf vorgesehen ist, keine inhaltliche Basis zu haben scheint.

Inwiefern eine wirtschaftlich-inhaltliche Differenzierungsstrategie notwendig ist, kann durch den gewählten Ansatz nicht direkt untersucht werden. Allerdings legen die hohe Nähe von Springer-Produkten (Welt, Bild), dem ebenso den Boulevard adressierenden Express und der Frankfurter Allgemeinen nahe, dass die Redundanz hier durchaus hoch ist und die Lektüre des Online-Auftritts der Bild den Konsum von faz.net annähernd überflüssig macht – zumindest was die gewählte Themenstellung angeht. Die Nähe der Frankfurter Rundschau ist sicherlich der Tatsache geschuldet, dass sie ähnlich wie faz.net als Besonderheit Lokalnachrichten aus dem Frankfurter Raum beinhaltet und so ähnliche “bag of words” generiert.

Anspruchsniveau der Texte

Zur Bestimmung des Niveaus eines Texts dienen sogenannte Lesbarkeitsindizes. Als statistisches Modell versuchen diese ein quantitatives Maß für die Komplexität und die Verständlichkeit des Texts zu implementieren. Für die deutsche Sprache haben sich mehrere Ansätze ergeben, von denen hier drei für jeweils drei längere Texte ausgewertet wurden. In Grafik 2 sind die Ergebnisse dargestellt. Auch hier wird ein differenziertes Bild sichtbar. Trotz methodischer Differenzen schneiden einige Online-Medien in dieser Auswahl besser ab – sofern man ein hohes Anspruchsniveau fordert. Gleichzeitig gibt es aber auch Online-Angebote, die deutlich gegenüber den klassischen Medien zurückfallen.

Grafik 2: Lesbarkeitsanalyse für je 3 längere Texte, sortiert nach ihrer Lesbarkeit nach Amdahl, dem SMOG-Index und der Wiener Sachtextformel (WSTF). Zum Vergleich: Entsprechende Ergebnisse wohl bekannter Texte als farbigen Balken.

Grafik 2: Lesbarkeitsanalyse für je 3 längere Texte, sortiert nach ihrer Lesbarkeit nach Amdahl, dem SMOG-Index und der Wiener Sachtextformel (WSTF). Zum Vergleich: Entsprechende Ergebnisse wohl bekannter Texte als farbigen Balken.

Dass ein hoher Wert nicht notwendigerweise mit der Güte des Textes korreliert, kann der steuer- und bürokratie-kritische Bürger daran ablesen, dass z.B. das deutsche Einkommensteuergesetz nach diesem Kriterium allein einen hohen Anspruch hat.

Fazit

Dem Anspruch “Das Netz quillt über mit Informationen – wir organisieren die Rangreihenfolge. Das ist die Leistung, die wir bringen” (Christoph Keese) werden die Online-Auftritte von traditionellen Medien durchaus gerecht:

  • Sie scheinen deutlich mehr Information zu transportieren als reine Online-Medien.
  • Sie setzen sich deutlich von reinen Online-Medien bezüglich des Inhalts ab.
  • Sie bilden relativ verständlich die Zusammenhänge in optimierten Texten für den Otto-Normalverbraucher ab.

Gleichzeitig legen die Resultate aber auch nahe, dass diese Angebote in der Tat sinnvoll ergänzt werden können durch Online-Medien, die teilweise ein spezielles Publikum adressieren, welches auch höheres sprachliches Niveau toleriert.

Zudem zeigen die Ergebnisse auch, dass im Bereich der traditionellen Medien Redundanzen vorhanden sind, die andeuten, dass eine Konsolidierung auf dem Medienmarkt zu keinen Informationseinbußen beim durchschnittlichen Rezipienten führen muss. Solche Bereinigungen sind typisch für wettbewerbsorientierte Märkte und sollten daher keinesfalls durch künstlichen Monopole wie eine Verwertungsgesellschaft verhindert werden. Reine Online-Medien hingegen zeigen sich vor allem als Kanäle zusätzlicher Information, tragen also nachdrücklich zu einer breiteren Meinungsbildung bei.

Obwohl also der Anspruch durch die traditionellen Medien (fast in Gänze) gehalten wird, gibt es grundsätzliche wirtschaftliche und politische Gründe, ihnen die geforderte Sonderbehandlung einer Art Zwangsvermarktung ihrer Inhalte nicht zu gewähren. Es stellt sich eher die Frage, wann eine Bereinigung stattfinden wird, die die volkswirtschaftlich unerwünschten Redundanzen bei den Verlagen beseitigt. Gleichzeitig sollten die Verfechter moderner Technologien und des Wettbewerbs den Ball aufnehmen und eine echte Reform des Urheberrechts diskutieren – etwa eine Senkung der Schutzdauer. Eine Koexistenz ohne Verwertungsgesellschaft wäre sicherlich die Beste aller Lösungen und würde jedem gerecht; zumal die reinen Online-Medien eine echte Ergänzung bieten.

Dass es sich beim geplanten Leistungsschutzrecht letztlich um die “Zwangsvermarktung“ eines nicht gewollten Produkts, also einer unbestellten Leistung, handelt, ist offensichtlich. Hier sollen Marktmechanismen ausgeschaltet werden – mit dem Ergebnis, dass eine effiziente Allokation von Ressourcen – von der journalistischen Arbeitskraft bis zur oft angeführten Aufmerksamkeitswährung – verhindert wird.

Der Kollateralschaden wäre hoch. Gerade der nötige Umbau bzw. die graduelle Evolution zu einer Netzökonomie würde durch eine solche Verwertungsgesellschaft stark behindert. Es ist nicht einzusehen, warum ausgerechnet der Print-Medienbereich von einer Marktbereinigung ausgenommen werden soll.

Die Bereinigung des traditionellen Medienmarkts ist dabei aus volkswirtschaftlicher Sicht erstrebenswert. Als Strategie eröffnen sich den klassischen Verlage aus zwei Wege: Einerseits die angestrebte, wettbewerbsfeindliche Monopolausnahmegenehmigung. Oder andererseits das Verfolgen von Differenzierungsstrategien und eine aktive Teilnahme an der Evolution neuer Publiziermodelle im Netz.

Das Leistungsschutzrecht für Presseverlage würde Variante 1 zementieren, die aus marktwirtschaftlicher Sicht nicht gewünscht sein kann.

Zur Verfolgung der Strategie 2 hingegen kann nur aufgerufen werden: Medien müssen sich den neuen Herausforderungen stellen, statt sich einzuigeln. Zur Umsetzung einer “kreativeren Strategie” könnte u.a. der hier benutzte, quantitative Ansatz wertvolle Steuerungshinweise geben. Eine tiefgehende Analyse und maßvolle Umsetzung der so gewonnen Erkenntnisse kann einzelnen Medien helfen, sich aktiv und immer wieder neu zu diversifizieren und dadurch ihr Überleben zu sichern.

Dieser Gastbeitrag basiert auf den Vortrag “To read or not to read” auf der SIGINT 2010. Kay Hamacher ist Physiker und leitet die Arbeitsgruppe “Computational Biology” an der TU Darmstadt. Die Analysenergebnisse sind ohne unser Wissen und ohne vorherigen Kontakt entstanden. Eine Langversion mit mehr Details ist bei einer wiss. Zeitschrift unter Begutachtung.

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