#Horst Köhler

Von Rückkopplung, Selbstverstärkung, Aufschaukelung und Resonanz im Falle Köhler

von , 3.6.10

Ich bin ja (anders als andere) ein Fan von Peter Kruse. Durch die Ereignisse und die Berichterstattung rund um den Rücktritt von Horst Köhler, sehe ich mich darin bestätigt. Die Geschehnisse sind zugleich Lehrstück und Beweis seiner Theorie der Kommunikation im Netz und ihrer Wechselwirkung mit den klassischen Massenmedien. Die geht so (Auszug aus einem Interview, welches ich vor 6 Monaten mit ihm geführt habe):

Sie können natürlich gerne im Netz was anbieten, nur ob das Netz bei dem, was sie anbieten auch Resonanz zeigt, so dass sich das Ganze aufschaukelt, das liegt nicht in ihrer Hand. Sie können sozusagen mit aller Verve irgendetwas ins Netz stellen, und haben überhaupt keine Reaktion und jemand anderes macht irgendetwas nebenbei, weil gerade die Webcam gelaufen ist, und das Ganze explodiert nach oben.

D.h. ob Sie im Netz Wirkung erzeugen oder nicht, liegt nicht an Ihnen als Anbieter, sondern liegt an der Resonanzbereitschaft der Nachfrager. Also man kann sie (die Resonanz) nicht erzwingen, das müssen wir von vornherein festhalten. Resonanz baut sich auf, wenn irgendetwas sozusagen in der Lage ist, Emotionen zu erzeugen.

Man muss sich mal überlegen, was das Internet eigentlich tut. Das Internet löst Informationen in einen Strom von kleinen Informationen auf. D.h. da, wo wir früher die Entscheidungen hatten, ich gehe in einen Kanal, ich gehe z.B. zu ZDF, ARD oder sonst wohin, dann war das eine (einzige) Entscheidungen. Heute muss ich bei jedem Informationsquant eine Entscheidung treffen. Und wenn ich bei jedem kleinen Stück Information eine Entscheidung treffe, treffe ich diese nicht mehr auf der Basis von Ratio, das schaffe ich nicht, sondern ich mache das auf der Basis emotionaler Resonanzen. D.h. wenn ich überhaupt noch eine Chance haben soll, vorherzusagen ob sich etwas aufschaukelt oder nicht, müsste ich eigentlich die Wertedrifts in der Gesellschaft beobachten, weil diese Wertedrifts geben mir eine Chance, noch ein bisschen vorherzusagen, wann was sich eventuell aufschaukelt.

Es entsteht nicht Bedeutung, das einzige, was entsteht, sind Rückkopplungseffekte. D.h. wenn Sie in diesem Zusammenhang irgendeins dieser kleinen Elemente in die Resonanz bringen, dann kommt es zur Aufschauklung. Im Prinzip ist Twitter ja nichts anderes als ein perfektionierter Kettenbrief. Wann immer irgendjemand etwas interessant findet, gibt er ein Retweet, der Retweet hat wieder unendlich viele Follower, d.h., Sie gehen sozusagen exponential vor: eins, 15, 5000, 50000 und hoch. Das geht unglaublich schnell, das ist wie dieses Spiel mit dem Schachbrett, wo man auf jedes Feld des Schachbretts das Doppelte legt – Sie erinnern sich an diese Metapher – dass da irgendwann sich mal jemand vertan hat, der, der wenn sie so wollen, gegen den Teufel gewettet hat und reingefallen ist, weil er eben diesen Aufschaukelungseffekt benutzt hat.

Aufschaukelungseffekte sind sehr mächtig, was man sich nur klarmachen muss, das Prinzip Aufschaukelung für sich genommen, ist noch nicht Erfolg und schon gar nicht Bedeutung. Ich kann nur sagen, wenn es zur Resonanz kommt, dann passiert es. Aber bedeutungshaltig muss das nicht unbedingt sein.

Das Einzige, was ich Moment feststelle ist, dass grundsätzlich die Resonanzbereitschaft bei den Menschen sich in der Maslowpyramide nach oben arbeitet. Früher war das Sex and Crime, heute sind das durchaus ernstzunehmende Themen, die aufschaukelungsfähig werden. Nur hier ist es so, das muss man sich eben klar machen, im hierachischen Modell bin ich mächtig, im heteraischen Modell wird mir die Macht vom Netz verliehen.

D.h., ich bin nicht mächtig, sondern ich werde mächtig gemacht und das muss man sich halt klarmachen. Ich habe keine Chance mehr, absichtsvoll mächtig zu sein. Ich kann nur noch, wenn es eben geht, sehr glaubwürdig bei meinen Dingen bleiben und wenn ich irgendetwas habe, was in dieser Netzkultur Relevanz hat, dann schaukelt sich das sehr schnell auf. D.h., Macht wird mir verliehen und nicht ich kann mächtig sein. D.h., wir haben eine Umkehrung der Bedeutung, es ist derjenige, der sagt, das ist wichtig, der dem ganzen Bedeutung verleiht, und nicht der, der es absendet. Das ist eine grundsätzliche, unterschiedliche Umgangsform mit Information, die über die über die Netze passiert und das ist tatsächlich eine Revolution.

Weil das ist mit diesen Werkzeugen das erste Mal so ist, vorher war das immer anders. D.h., wir haben Gespräche, die nicht mehr wie beim Massenmedium von einem zu vielen gehen, sondern wir haben tatsächlich die Situation, wo wir permanent mit der Möglichkeit der Aufschaukelung rechnen können und damit in einer ganz anderen Grundsituation von Kommunikation sind.

Ich finde, das erklärt sehr viel von den Ereignissen der letzten Tage. Interessant dabei ist auch wie Jonas Schaible – der angebliche Präsidentenstürzer – in seinem Blogeintrag (Köhler und ich: Eine Klarstellung) seine Rolle in diesem Spiel genau im Sinne Kruses analysiert und exakt beschreibt, wie ihm von anderen eben jene Bedeutung verliehen worden ist:

Um Aufmerksamkeit geht es mir nicht und ging es mir nie. Ja, ich wollte gelesen werden, als Autor, als berichtendes Subjekt. Sollten meine Artikel inhaltlich gefallen haben, freut mich das. Daran, Objekt der Berichterstattung zu werden, habe ich nicht das geringste Interesse.

…Und erst nach diesem zweiten Deutschlandfunk-Interview stieg mit Spiegel Online das deutsche Leitmedium im Netz, stiegen auch viele andere Nachrichtenseiten ein.

Und er beschreibt in seinem Beitrag auch sehr genau, wie es zu der Aufschaukelung kam:

Ich habe unterschätzt, dass viele Medien auf jede Geschichte anspringen, die gute Klickraten und Zuschauerzahlen verspricht. Dabei hätte mir klar sein müssen, dass die Kombination aus Köhler, dem vielen immer noch fremden Internet und aufmüpfigen Bloggern, personalisiert durch einen 20-jährigen Studenten, genau eine solche gute (und schnelle) Geschichte ist. Ob sie nun relevant ist oder richtig, ist da nur Nebensache. …

Ich soll nun zum Gesicht der gesamten Blogosphäre gemacht werden. Dabei geht es nicht darum, was ich geschrieben habe, sondern darum, dass ich ein greifbares Gesicht bin, weil die dpa meinen Namen durch den Äther schickte. Das mag reizvoll sein als Kunstgriff, um das abstrakte Thema zu personalisieren – in der Sache ist es völlig übertrieben. Darauf, dass ich als Blogger eine besondere Rolle gespielt habe, gibt es keinen Hinweis.

Weil die Medien absichtsvoll die Aufschaukelung verstärkt haben, weil sie mittlerweile gelernt haben, sich im Netz an Geschichten und Meinungen zu bedienen, kam diese Entwicklung in Gang, bis hin zu einem Bericht im heute journal in Form einer Meta-Berichterstattung. Ob überhaupt und was das alles am Ende mit Köhlers Rücktritt zu tun gehabt hat, vermag ich nicht beurteilen.

Fest steht jedoch. Die Themenzyklen, die durchs Dorf getriebenen Säue laufen immer schneller. An einigen Stellen degeneriert Journalismus zum Realtime-Reflex. Ohne nachzudenken und manchmal auch ohne zu recherieren werden Themen aufgegriffen und beschleunigt. Es herrscht offenbar in manchen Redaktionen ein Bewusstsein (vielleicht auch der Stress) wie bei der Tour de France: Wer den Zug der schnellen Fahrer verpasst, ist beim Zielsprint nicht dabei.

Anstatt sich an einer von den Blogs angestoßenen, inhaltlichen Diskussion über die Einsatzgrundsätze der Bundeswehr zu beteiligen, instrumentalisierten einige Medien das Netz, um des schnellen Effektes willen. Und finden dabei auch noch ausreichend willige Komplizen in der Politik, die, wie in diesem Fall auch, durch eigene Äußerungen zusätzlich zur Aufschaukelung beitragen (Schaible: “Erst Spiegel-Online bewegte die Opposition zu Kritik. Damit war der Damm gebrochen.”)

Am Ende hat sich die Berichterstattung dann vom Thema gelöst und dreht sich eigentlich nur noch um sich selbst. Und wenn es dann mal ein Opfer gibt, schauen alle betroffen aus der Wäsche – bis zur nächsten Themenhatz.

Crosspost von julius01.

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