Medienlinks zum Wochenstart: Goldene Zeiten für Journalismus

von , 16.5.10

Top-Tipp:

Dem Journalismus geht es erstaunlich gut

Wenn Sie nur einen einzigen Beitrag aus der SZ Online-Serie “Wozu noch Journalismus?” lesen, dann sollte es dieser bemerkenswerte Beitrag von Zeit Online-Chefredakteur Wolfgang Blau sein. Blau sieht “goldene Zeiten” für den Journalismus heranbrechen, weil er nicht den verbreiteten Fehler macht, Journalismus mit einer gut dotierten Festanstellung in einem Verlag oder einer Rundfunkanstalt oder mit dem Besitz eines Presseausweises zu verwechseln: “Journalismus ist keine exklusive Profession mehr. Journalismus ist zu einer Aktivität geworden, die nur noch von einer Minderheit professionell ausgeübt wird. Ob ein Journalist professionell ist, bemisst sich nicht mehr daran, ob er mit seiner Arbeit Geld verdient, sondern allein daran, ob er professionelle Standards einhält, etwa in der Sorgfalt und Fairness seiner Recherche und der Qualität seiner Sprache.” Über den Einfluss des neuen, sozialen Journalismus auf die Arbeitsweise seiner eigenen Redaktion schreibt Blau: “Sukzessive kommen wir zu einer Arbeitsweise, in der unsere Artikel nicht mehr der Endpunkt des journalistischen Prozesses sind, sondern dauernder Zwischenstand. Aus den Kommentaren unserer Leser unter dem Artikel, auf Facebook oder bei Twitter entsteht oft die Idee zum nächsten Text; gelegentlich auch die unbequeme, aber wichtige Einsicht, einen Gedanken nicht zu Ende gedacht zu haben. Voraussetzung dafür ist, dass wir bereit und personell in der Lage sind, zuzuhören und mit unseren Lesern zu reden.” Der Zeit Online Chef entwickelt allerdings en passant auch nicht ganz durchdachte Ideen zu einer neuen Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Internet (s. Replik von Robin Meyer-Lucht bei Carta.)

weitere Tipps:

How to Save the News

Ein langes Essay von James Fallows in The Atlantic. Er setzt sich mit der These auseinander, dass Google dem Journalismus schade. In Wirklichkeit, so Fallows, unternehme Google weitaus größere Anstrengung zur möglichst schadlosen Transformation von Journalismus in das digitale Zeitalter als jedes andere vergleichsweise disruptive Webunternehmen (z.B. Craigslist): “I am convinced that there is a larger vision for news coming out of Google; that it is not simply a charity effort to buy off critics.” Der fundamentale Unterschied zwischen typischer Verlagsstrategie und Google-Strategie wird in diesem Zitat eines namenlosen Google-Mitarbeiters gegenüber Fallows deutlich: “Focus on the User. They [the publishers] just mean, ‘Get money out of the user’. Nowhere do they talk about how to create something people actually want to read and engage with and use.” Kurzfassung: Die wichtigsten Punkte aus dem Essay listet Mercedes Bunz in ihrem Blog auf englisch auf.

Wie viel sind Blogs wert?

Das fragt sich Massenpublikum-Blogger Sachar Kriwoj und beantwortet die Frage für sich selbst wie folgt: “Ich habe […] entschieden, dass mir Blogs in ihrer Gesamtheit ebenso viel bedeuten wie der klassische Print-Journalismus. Also werde ich monatlich für 100 Euro flattrn und jeden Beitrag, der in meinen Augen gut geschrieben ist, mich inspiriert und bewegt würdigen und somit Autoren jenseits der Verlags-Branche unterstützen.” (Beitrag in der Überschrift verlinkt). Solche ein großzügiges freiwilliges Angebot wird sicherlich nur wenige Nachahmer finden, auch wenn neue Angebote wie flattr oder Kachingle Spenden für Webinhalte leicht machen. Doch grundsätzlich gibt es trotz der von Verlagen verteufelte “Kostenloskultur” im Internet sehr wohl eine Bewusstsein für die Notwendigkeit, Qualität und Aufwand in Blogs zu honorieren. Sie ist (zumindest nach ersten Absichtsbekundungen) sogar wesentlich höher als die in Umfragen geäußerte Bereitschaft, verpflichtende Beiträge für verlagsgebundene Online-Angebote zu zahlen. Das zeigt diese Umfrage aus einem Beitrag von netzwertig (“Wieviel sind Euch Blogs wert”): Immerhin ein Drittel möchte freiwillig 5 bis 10 Euro monatlich bezahlen und nicht einmal jeder Fünfte sagt “gar nichts”. Mehr über das System Kachingle und über Mikrospenden als möglicherweise neue soziale Bewegung im Netz in meinem Interview mit Kachingle-Gründerin Cynthia Typaldos.

Crowdsourcing goes global: The NYT’s “Moment in Time”

Crowdsourcing 1: Das wegen seiner herausragenden Fotos und deren opulenter Präsentation stets sehenswerte Fotoblog Lens der New York Times wagte ein Crowdsourcing-Experiment und bat seine Nutzer, am 2. Mai um 15 Uhr GMT für die Aktion “A Moment in Time” ein Foto aufnehmen und hochzuladen. 13.000 Aufnahmen wurden auf einem Globus verortet (Titelfoto). Der Beitrag in Nieman Journalismus Lab (in der Überschrift verlinkt) fasst Intention, Vorgehensweise und Schlussfolgerungen aus dem Experiment zusammen.

“Always collaborate”

Crowdsourcing 2: Das neue experimentelle Online-Journalismus-Projekt Open File in der kanadischen Stadt Toronto stellt – wie der Name “Offene Datei” schon besagt – die Nutzer, ihre Interessen und ihre Beteiligung in den Mittelpunkt der Plattforum: “We designed OpenFile to function as a community information utility that is both responsive to and directed by its users. If you’re a concerned citizen who wants to get more involved with your community, you should join us. If you belong to a local charity or community action group and want to share information about your issues and mission, you should join us, too. We want to engage our readers in an open discussion about what’s really happening around Toronto, not just tell them what we think they should know about.” Das Projekt wird aus Spenden finanziert. Mehr dazu bei Nieman Journalism Lab (in der Überschrift verlinkt).

Location, location, etc.

Und noch ein drittes Mal Nieman Journalism Lab: Hier mit beispielhaften Situationen, in denen das ortsbasierte soziale Netzwerk Foursquare den Journalismus bereichern kann. “‘Times Square evacuated’ is a legitimate news item, of course, in most any context; but it’s particularly legitimate to people who happen to be in Times Square at the moment the news breaks.[…] If you’re following the Journal, and you’re in New York, you’re going to see this at the top of your timeline on your Foursquare app. And if you’re not in New York, you’re not going to see it”, erläutert Zac Seward vom Wall Street Journal, das Foursquare bereits einsetzt. Dazu passend: 7 Ways Journalists Can Use Foursquare und 5 ways publishers should be using geolocation (e media vitals).

Zwischen Luftgitarren und Zauberberg: FAZ-Ostfriese Reents zerstückelt den Netzwerk-Experten Professor Kruse

Gunnar Sohn nimmt einen Beitrag aus der allmählich nur noch schwer erträglichen FAZ-Reihe “Polemiken gegen das Internet” Schritt für Schritt auseinander. Diesmal traf es den Netzwerkforscher Prof. Peter Kruse.

Retweets statt Follower – wie Einfluss auf Twitter gemessen wird

Netzökonom Holger Schmidt berichtet über die wichtigsten Ergebnisse einer Twitter-Studie: “Die Zahl der Follower allein sagt nur wenig über den Einfluss eines Nutzers aus. Oft folgen sich Menschen nur aus Höflichkeit und lesen die Tweets gar nicht. Entscheidend für den Einfluss sind aktive Follower, die Tweets weiterleiten oder den Namen des Nutzers erwähnen.

Auf den zweiten Blick

Der Überblicksbeitrag von Christiane Schulzki-Haddouti über Anwendungen von Augmented Reality im Journalismus aus der April-Ausgabe des Journalist steht jetzt auch bei Kooptech. Unter Augmented Reality versteht man die Anreicherung der Realität, die man in einem Kamerasuchfeld erblickt, mit zusätzlichen eingeblendeten Informationen, zum Beispiel über eine touristische Sehenswürdigkeit.

Die Fachjournalistin Ulrike Langer bloggt auf medialdigital, wo sie auch diese Linktipps regelmäßig veröffentlicht. Carta übernimmt die Linktipps mit freundlicher Genehmigung der Autorin als Crossposting.

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.