#digitale Gesellschaft

#rp10: Plädoyer für einen Innovationsfonds “digitale Öffentlichkeit”

von , 13.4.10

Welcher war der meistweitergeleitete Tweet am 9. Februar 2010? Es war der Tweet:

bverg

versandt vom Bundesverfassungsgericht. Der Twitter-Account “BVerfG” hat dabei – was die Richter höchstwahrscheinlich gar nicht wissen, aber sie freuen wird – mittlerweile über 4.000 Follower.

Die neuen Mechanismen der digitalen Öffentlichkeit

Dieses kleine Beispiel zeigt, wie fundamental die Mechanismen der Verbreitung aktueller Informationen in Bewegung geraten sind. Die zitierte Nachricht wurde nicht in einer Redaktion verfasst, nicht von einer Redaktion ausgewählt und nicht von einem klassischen Medienunternehmen verbreitet. Stattdessen wurde sie vom Gericht selbst abgesetzt, von einem dezentralen Netzwerk von Twitter-Nutzern als relevant identifiziert und über die Server eines 100-Mann- Unternehmens mit Sitz in San Francisco verschickt. Erstellung, Selektion und Verbreitung dieser Information fand im Kontext Twitter unter Ausschluss aller Prinzipien und Teilsysteme statt, die aus dem klassischen System massenmedial-journalistisch-redaktioneller Verbreitung bekannt sind.

Diese neuen Mechanismen konstituieren nichts weniger als einen durch die Digitalisierung ausgelösten erneuten Strukturwandel der Öffentlichkeit. Die derzeitige Krise des Journalismus ist seine Anpassungskrise an diese neuen Verhältnisse. Es ist eine Krise seiner Rolle, seiner Institutionen und seines Geschäftsmodells. Der Journalismus wird durch den technologisch ausgelösten Strukturwandel aus dem strategischen Zentrum eben dieser zunehmend digital organisierten Öffentlichkeit verdrängt. Dies kann man leicht daran erkennen, das andere nun dieses Zentrum besetzen: derzeit zum Beispiel Google, Facebook und Twitter.

Journalismus muss sich radikal verändern, um relevant zu bleiben

Die Rollenkrise trifft beide Funktionen des Journalismus: Er verliert nicht nur seine Deutungshoheit beim Leser. Er verliert – und dies ist ökonomisch noch viel wichtiger – seine herausgehobene Stellung im Anzeigenmarkt. Die Krise des Journalismus ist ökonomisch gesehen seine Krise als Anzeigenträger.

Der Online-Werbemarkt umfasst in Deutschland rund 2,5 Milliarden Euro. Der Werbeumsatz journalistischer Online-Angebote beträgt aber nur etwa 150 bis 200 Millionen Euro. Dies bedeutet, dass weniger als 10 Prozent des Umsatzes mit kommerziellen Botschaften im Internet über Journalismus als Vehikel abgewickelt werden. Dem Journalismus sind wichtige Konkurrenten im Anzeigenmarkt entstanden, die ebenfalls – und manchmal effizienter – Kontakte zwischen Konsumenten und Unternehmensbotschaften herstellen: Suchmaschinen, Preissuchmaschinen, Online-Rubrikenmärkte, Freemail-Anbieter, Portale und viele andere.

Dabei kann sich der Journalismus noch nicht einmal darüber beschweren, dass er ein viel zu kleines Stück vom Werbekuchen abbekäme. Denn den mageren 10 Prozent Anteil am Online-Werbemarkt stehen ebenso magere 10 Prozent Anteil an den Seitenabrufen gegenüber, die bei der Online-Reichweitenmessung erfasst wurden. Im universalen Medienraum des Internets ist Journalismus bei Lesern und Anzeigenkunden auf einen Nutzungsanteil von grob taxiert etwa einem Zehntel geschrumpft. Das einstmals dominante Paradigma der analogen aktuellen Informationsvermittlung wird im Netz zu einem unter mehreren.

Die Konsequenz: Journalismus muss sich teilweise radikal verändern, um im Funktionssystem der neuen Öffentlichkeit relevant zu bleiben. Es finden sich hierfür viele sehr positive Ansätze im Internet. Weite Teile des Journalismus reagieren auf die Veränderungsanforderung jedoch mit einer Art Schockstarre, mit Ignoranz und Verbitterung.

Journalismus ist in den letzten Jahrzehnten streckenweise zu einem Regelsystem erstarrt, das vergessen hat, warum es wurde, wie es ist – und dem die Fantasie und die Flexibilität zur Veränderung fehlt. Der Journalismus wird daher höchstwahrscheinlich von seinen Rändern, in Blogs und journalistischen Start-ups, neu erfunden werden müssen.

Der klassische festangestellte Verlagsjournalismus produziert zu viel, zu viel Gleichförmiges, zu wenig Differenziertes. Er nutzt die Verlinkung mit anderen Inhalten, die Vernetzung mit anderen gesellschaftlichen Teilsystemen der Informationsverarbeitung und die Verbindung mit den Nutzern zu wenig und zu wenig produktiv. Vor dem Journalismus liegt ein immenser digital-technologischer Möglichkeitsüberschuss, den er sich kaum zunutze zu machen weiß – während zugleich seine klassische Rolle erodiert, weil sie sich in Teilen erübrigt hat.

Dabei muss Journalismus lernen, wie man Kommunikationsräume mit deutlich mehr aktiven Teilnehmern organisiert und vernetzt. Denn wenn es drei wichtige Kennzeichen der digitalen Öffentlichkeit gibt, dann sind es wohl: die Vielzahl der aktiven Teilnehmer, die Vernetzung und die algorithmische Basis.

Die mangelnde Anpassungsfähigkeit des Journalismus ist eine direkte Folge seines verklärten Verhältnisses zur Nachfrage und zu seinen normativen Grundlagen. Begriffe wie “Qualitätsjournalismus” stehen für einen unscharf definierten und ungenau begründeten Anspruch auf Führung durch journalistische Eliten. Wo aber die Steuerung elitär und von innen erfolgt, fällt es schwer, auf äußere Einflüsse zu reagieren. Es fehlt dem klassischen Journalismus an ausreichend Demut und Selbstkritik, um sich neu zu erfinden.

Der Journalismus muss seine neue Rolle im Institutionensystem der digitalen Öffentlichkeit erst noch finden. Dabei wird diese Rolle eine kleinere, fokussiertere und bescheidenere sein als in der analogen Medienwelt. Denn in der digitalen Öffentlichkeit emanzipieren sich Teilsysteme wie politische Kommunikation oder Nutzerkommunikation gegenüber dem Journalismus. Zudem kommen leistungsfähige neue Teilsysteme, wie das der algorithmischen Aggregation von Inhalten – auch Suchmaschine genannt –, hinzu.

Nicht den alten Journalismus im neuen Medium beatmen

Die Krise des Journalismus und der Verlage ist daher eine strukturelle – und kein Urheberrechtsproblem. Die Verlage leiden nicht daran, dass ihre Inhalte schutzlos im Internet umherflottieren. Sie laborieren daran, dass es ihnen zu wenig gelingt, selbst zu den zentralen Informationslogistikern des Netzes aufzusteigen.

Viele Presseverlage fordern nun neue Schutz- und Verwertungsrechte, um sich besser im Netz behaupten zu können. Eine genaue juristische Prüfung muss zeigen, ob es tatsächlich entsprechende Lücken in den Verwertungsrechten gibt. Grundsätzlich aber wird sich eine Strukturkrise nicht mit juristischen Mitteln beheben lassen. Wirksame und legitime Hebel für neue Geschäftsmodelle können nur aus Angeboten entstehen, die ihre Kraft aus einer besonderen Faszination ihrer Nutzer und ihrer Marktposition ziehen.

Es besteht vielmehr die Gefahr, dass über neue Schutzrechte versucht wird, den Strukturwandel hinauszuzögern und so den Journalismus alter Machart in neuen Medien ein bisschen länger zu beatmen. Neue Verwertungsrechte könnten sich so als Innovationsbremse erweisen. Der Kollateralschaden durch entsprechende Verwertungsrechte könnte zudem erheblich ausfallen. So erscheint es auf dem Stand der heutigen Diskussion nicht gesichert, ob die Prinzipien des freien Zitierens und der freien Verlinkung auch unter dem geforderten neuen Leistungsschutz-Regime gewährleistet wären. In der Folge wären dann wichtige Mechanismen der politischen Meinungsbildung geschwächt, nicht gestärkt.

Dabei ist übrigens nicht nur das Zitatrecht verfassungsrechtlich und durch das erhebliche gesellschaftliche Interesse an einer freien Vernetzung von Informationen geschützt, sondern auch das Recht von Aggregatoren und Suchmaschinen, kurze Zusammenfassungen der von ihnen verlinkten Seiten zu veröffentlichen. Suchmaschinen erhöhen die Auffindbarkeit von politisch relevanten Informationen ganz erheblich. Sie leisten damit, ebenso wie der Journalismus, einen unverzichtbaren Beitrag zur politischen Meinungsbildung. Suchmaschinen sind eine Art Journalismus.

Neue Infrastrukturen der digitalen Öffentlichkeit fördern

Da die Krise des Journalismus im Internet maßgeblich von seiner schwachen Ertragssituation ausgelöst wird, die wiederum Folge der schwachen Position in den Anzeigenmärkten ist, wird es zu den Kernaufgaben von journalistischen Anbietern gehören, ihre direkten Einnahmen im Netz zu erhöhen. Es gilt treue Nutzer zu überzeugen, dass ein direkter Beitrag zur Refinanzierung von journalistischen Inhalten wichtig ist. Hierfür gilt es neue Vergütungs- und Bezahlmechanismen zu etablieren, die weit über ungeschickte und starre Bezahlschranken hinausgehen. Auch hier gibt es erste sehr beachtliche neue Vergütungsansätze im Netz.

Hingegen sollte die Politik Scheinlösungen durch neue Verwertungsrechte skeptisch gegenüberstehen. Sie sollte stattdessen versuchen, den Journalismus dabei zu unterstützen, seine neue Rolle zu finden. Dabei wird man sich auch vom klassischen Journalismusbegriff verabschieden und eher von der Herausbildung funktionierender Strukturen der Meinungsbildung in der digitalen Öffentlichkeit sprechen müssen. Denn es geht nicht um die Fortführung von klassischem Journalismus, sondern um die adäquate Umsetzung der journalistischen Funktionen im neuen Medium.

Die Politik sollte dabei nicht einzelne Anbieter von journalistischen Inhalten fördern, sondern die Herausbildung neuer Strukturen. Statt Symptome zu lindern, würde die Ursache angegangen: die fehlende oder unzureichend ausgebaute Infra- und Innovationsstruktur für einen Neojournalismus in der digitalen Öffentlichkeit.

Dafür wird hier ein Innovationsfonds “Digitale Öffentlichkeit” vorgeschlagen. Sein Ziel soll es sein, die Forschung und Entwicklung neuer Infrastrukturen für die digitale Öffentlichkeit zu fördern. Beispiele hierfür wären: Plattformen, die Journalisten und Anbietern den Start von (hyper-)lokalen Angeboten ermöglichen, Crowdfunding- und Bezahl-Systeme für journalistische Inhalte, Auftrags- und Handelsplattformen für journalistische Inhalte, Plattformen für die bessere Vermarktung von journalistischen Inhalten, die Programmierung neuer Aggregatoren-Modelle.

Wichtig ist hierbei die Förderung einer großen Vielfalt von Ansätzen, womöglich teilweise auch in Zusammenarbeit mit privaten Investoren. Auch Aus- und Weiterbildung von Journalisten sowie die praxisorientierte Forschungszusammenarbeit von Universitäten und Unternehmen könnten hier eine zentrale Rolle einnehmen. Die neuen Strukturen sollten dabei auch mit den Verlagen entwickelt werden, nicht gegen sie.

Die Förderung sollte dabei stets den Charakter einer Innovationsförderung und Anschubfinanzierung haben. Ziel kann keinesfalls sein, Förderabhängigkeiten wie etwa im Filmbereich zu schaffen. Wie bei der klassischen Innovationsförderung auch, sollte es darum gehen, Projekte in Frühphasen zu unterstützen und so Risikobereitschaft und ein Momentum in der Entwicklung zu fördern. Wer mehr Elektro-Automobile auf den Straßen sehen möchte, muss Batterie- und Motorentechnologie fördern. Wer mehr erfolgreichen Online-Journalismus sehen möchte, muss neue Plattformen und Supportstrukturen für den Journalismus im Netz fördern.

Hinter der Forderung nach einem Fonds zur Überwindung der Strukturkrise des Journalismus stehen vor allem drei Thesen:

  1. Die Krise des Journalismus ist eine Innovationskrise in Bezug auf seine Rolle in der zunehmend digitalen Öffentlichkeit und eine Ertragskrise aufgrund seiner geschwächten Stellung in den Anzeigenmärkten.
  2. Statt Strukturwandel durch neue Schutzrechte zu bremsen, sollte die Politik gestaltend eingreifen, indem sie neue Strukturen und Vergütungsmechanismen fördert.
  3. Es sollte keine direkte Förderung von Anbietern geben, sondern eine Förderung der Herausbildung von neuen Infrastrukturen.

Die Krise des klassischen Verlagsjournalismus in den neuen digitalen Öffentlichkeiten ist im Kern eine Innovationskrise, die nur durch systematische Forschung und Entwicklung überwunden werden kann. Gerade diese jedoch wird bislang von vielen Anbietern, auch jenen, die neue Schutzrechte fordern, nicht ausreichend betrieben. Wer aber nicht alles tut, um sich funktional mit neuen Angebotsformaten in die neuen digitalen Öffentlichkeiten einzufügen, kann nicht überzeugend nachweisen, warum er der besonderen Hilfe der Gesellschaft bedürfe.

copyrightnowDieser Beitrag erschien im Reader “Copy.Right.Now! – Plädoyers für ein zukunftstaugliches Urheberrecht”, herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung in Zusammenarbeit mit iRights.info. Er liegt als PDF (1,3 MB) vor und kann in der gedruckten Fassung kostenlos bestellt werden.


Am Freitag, den 16.4., um 14 Uhr werden Matthias Spielkamp, Till Kreutzer und Robin Meyer-Lucht auf der re:publica im großen Saal der Kalkscheune zum Leistungsschutzrecht diskutieren: Session: Let’s Screw Up the Entire Internet to Save Newspapers

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