Die Sache mit der Unabhängigkeit

von , 14.3.10

Die Fiktion der Interessenlosigkeit und Unabhängigkeit von Journalisten – und daraus abgeleitet die Forderung nach der Interessenlosigkeit und Unabhängigkeit möglichst vieler an der öffentlichen Kommunikation Beteiligter – erscheint mir wenig hilfreich und zunehmend dysfunktional.

Journalisten sind – aus einem bestimmten Blickwinkel betrachtet – unabhängiger als andere Kommunikatoren. Aber letztlich sind auch Journalisten von sehr vielen (eigenen und fremden) Interessen abhängig.

Glaubt man habermasianisch an die Kraft des besseren Arguments, dann kann eine Diskussion auch Interessen vertragen. Wichtig ist, dass Interessen hinreichend transparent offen liegen. Bei den hier genannten Personen ist das sicher der Fall.

Im Netz gibt es einen viel intensiveren Austausch zwischen mehr Menschen, die mehr Argumente und mehr Interessen haben – und ich bin mir sicher, dass daraus bessere Diskussionsergebnisse folgen. Interessen sind daher nicht Fremdkörper in Diskussionen, sondern ihr inhärenter Bestandteil.

Man sollte soviel Abstand haben, um zu erkennen, dass mit Unabhängigkeit und angeblicher Interessenlosigkeit auch politische Linien abgegrenzt werden. Die Interessen anderer erscheinen einem – so mein Eindruck – umso größer, je weiter sie von den vermeintlich eigenen entfernt sind.

Daher neigt man dazu, politisch anders denkenden Interessen vorzuwerfen, während man selbst nur legitime Anliegen zu haben scheint. Letztlich geht es dabei folglich nicht um die Interessenhaftigkeit an sich, sondern um die konkreten Inhalte dieser Interessen. Statt aber inhaltlich zu argumentieren, wirft man sich ein interessengeleitetes Vorgehen vor. Damit umgeht man die Diskussion und versucht zugleich, andere als minder diskussionsteilnahmefähig abzustempeln.

Und das wiederum ist ganz unhabermasianisch: Es setzt nicht auf die Kraft des besseres Arguments, sondern auf die Kraft von aus dem US-Wahlkampf bekannten Diskreditierungs-Techniken.

Ich persönlich habe keinen Zweifel daran, dass etwa Hajo Schumacher und Stefan Niggemeier als Persönlichkeiten mehr als stark genug sind, einfach ihre eigene Meinung zu vertreten. Dass sie Interessen haben, interessiert mich eher zweitrangig. Was mich vor allem interessiert, sind ihre Argumente und ihre (ordnungs-)politische Grundeinstellung.

Daher brauchen wir im Netz eine Kultur der Kraft der Argumente, eine Kultur der hinreichenden Transparenz von Interessen – und keine Unabhängigkeitswarte.

(Disclaimer: Stefan Niggemeier und Tharben waren in der Vergangenheit von meiner Unabhängigkeit nicht immer ganz überzeugt)

Der Text ist ein Repost aus diesem Thread.

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