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Eine Wirtschaftsregierung für Europa: Chance der Griechenland-Krise?

von , 25.2.10

Bei seiner ersten Rede vor dem Europäischen Parlament am 24. Februar hat der neue Ratspräsident Herman van Rompuy das Ziel der EU bekräftigt, eine engere wirtschaftspolitische Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten anzustreben. Anfang des Monats hatte sich Bundeskanzlerin Merkel beim deutsch-französischen Ministerrat in Paris erstmals für eine europäische Wirtschaftsregierung ausgesprochen. Aus deutscher Sicht kam dieses Bekenntnis einem Tabubruch gleich, hatte sich die Bundesregierung bislang doch vehement gegen Vorschläge aus Paris gewehrt, der EU in Sachen Wirtschaftskoordinierung mehr Einfluss zu gewähren.

Die Forderungen nach einer europäischen Wirtschaftsregierung wurden von deutscher Seite aus stets als Versuch gewertet, die als sakrosankt betrachtete Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank zu unterlaufen. Seit Einführung des Euro wacht Berlin mit Argusaugen über die Geldwertstabilität der Gemeinschaftswährung. Frankreich hingegen kritisiert die einseitige Ausrichtung der EZB am Ziel der Preisstabilität und die damit einhergehende Vernachlässigung wachstums- und beschäftigungspolitischer Ziele. Es ist nicht zuletzt dieser tiefgreifende deutsch-französische Dissens, welcher die zweifelsohne notwendige wirtschafts- und finanzpolitische Kooperation auf EU-Ebene bis dato behinderte. Nun aber stellt die „griechische Tragödie“ das zentrale (deutsche) Credo der Wirtschafts- und Währungsunion in Frage, das besagte, dass der Stabilitätspakt allein ausreichend sei um die Euro-Zone auf ein sicheres Fundament zu stellen.

Die Wirtschafts- und Finanzkrise könnte sich somit als Katalysator für die längst überfällige Verbesserung der Wirtschafts- und Finanzpolitik sowohl der Euro-Zone als auch der EU insgesamt erweisen und die Währungsunion endlich mit einem politischen Unterbau versorgen. Die verbale Annäherung von Angela Merkel ist eine unmittelbare Reaktion auf die Solvenzprobleme der so genannten PIIGS (Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien), die mittlerweile zur Zerreißprobe für die gesamte Eurozone geworden sind. Insbesondere der Fall Griechenland führt den Europäern vor Augen, welche Sprengkraft wirtschaftliche Ungleichgewichte und fiskalpolitische Disparitäten zwischen den Mitgliedsstaaten in sich bergen.

Die Griechenland-Krise hat die Aufmerksamkeit auf die mangelnden Überwachungs- und Sanktionsmechanismen innerhalb der Euro-Zone gelenkt. Das tiefgreifendere Problem liegt jedoch darin, dass die Mitgliedstaaten es aufgrund von Souveränitätsvorbehalten bislang nicht geschafft haben, den Binnenmarkt und die Währungsunion mit einer abgestimmten europäischen Wirtschaftspolitik zu begleiten. Die ersten Versuche einer wirtschaftspolitischen Koordinierung aus dem Jahre 2000 sind gescheitert. Die Lissabon-Strategie, welche die EU bis zum Jahre 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt machen sollte, ist aufgrund fehlender Sanktionsmechanismen nahezu wirkungslos verpufft.

Nun bietet die Diskussion um die Wachstumsagenda „Europa 2020“ ein Fenster der Gelegenheit, um im Lichte der Wirtschaftskrise eine Neuausrichtung der europäischen Wirtschaftspolitik vorzunehmen. Die massiven Probleme der PIGS könnten in diesem Zusammenhang eine ähnliche Wirkung entfalten wie die Balkan-Kriege Ende der 1990er Jahre, die rückblickend das zentrale Moment für die Entwicklung einer europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik waren. Erst die Krise konnte die nötigen Kräfte freisetzen, um Souveränitätsvorbehalte und nationale Egoismen der Mitgliedstaaten zu überwinden.

Mit dem steigenden Problembewusstsein für gemeinsame Herausforderungen schmelzen zuvor für unüberbrückbar gehaltene Interessengegensätze dahin und öffnen den Weg für kooperative Lösungen. Die Wirtschaftskrise könnte nun analog den Boden bereiten für eine grundlegende Neuausrichtung der europäischen Wirtschaftspolitik. Dass die Staats- und Regierungschefs sich zu substanziellen Vertiefungsschritten (im Sinne weiterer Kompetenzübertragungen an die EU) durchringen können, ist jedoch unwahrscheinlich. Eher deutet alles darauf hin, dass der Europäische Rat unter seinem neuen Präsidenten Van Rompuy die Einrichtung einer Wirtschaftsregierung dazu nutzen wird, seine eigenen Kompetenzen zu stärken und damit die Exekutivlastigkeit der Europapolitik zu vergrößern – zu Ungunsten von Kommission, Europäischem Parlament und nationalen Volksvertretungen.

Die Einrichtung einer europäischen Wirtschaftsregierung würde den schwierigen Balanceakt zwischen einer gänzlich der Autorität der EU unterstellten Binnenmarkt- und Geldpolitik und einer nach wie vor nationalstaatlich organisierten Wirtschafts-, Fiskal- und Sozialpolitik beenden. Dass diese Asymmetrie problematisch ist, wurde von Experten in der Vergangenheit vielfach angemahnt. Deutschland jedoch hat aufgrund seiner hohen Exportüberschüsse und seiner Politik der Lohnzurückhaltung von den makroökonomischen Ungleichgewichten in der Union profitiert. Wie kein anderer Mitgliedstaat hat es die Bundesrepublik verstanden, die spezifischen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen in der Euro-Zone gezielt zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen. Die deutsche Wirtschaftspolitik wurde in der Vergangenheit daher vielfach als „unkooperativ“ gebrandmarkt – vor allem von Frankreich, das sein Wirtschaftswachstum vornehmlich durch interne Kaufkraftsteigerung generiert und damit eine gegenteilige Strategie verfolgt.

Will die Kanzlerin ihren Lippenbekenntnissen nun Taten folgen lassen und tatsächlich den Weg hin zu einer europäischen Wirtschaftsregierung beschreiten, könnte dies für Deutschland zu einem bösen Erwachen führen. Eine engere wirtschafts- und finanzpolitische Koordinierung auf EU-Ebene wird nur schwer mit dem schon seit längerem in der Kritik stehenden deutschen Sonderweg der Exportorientierung in Einklang zu bringen sein. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Einebnung der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Euro-Zone ganz oben auf der Agenda einer europäischen Wirtschaftsregierung stehen wird.

Dies wird nicht nur die unkooperative Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik unter Druck setzen, sondern auch den Weg ebnen für Transferzahlungen an schwache Leistungsbilanzdefizitländer. Eine derartige Umverteilung wird dem deutschen Steuerzahler jedoch nur schwer zu vermitteln sein – dazu ist der europäische Solidaritätsgedanke bei Weitem noch nicht stark genug. Damit wäre die von der Krise bereits stark diskreditierte deutsche Strategie, allein auf den Stabilitätspakt und die Unabhängigkeit der EZB zu vertrauen, Transferzahlungen an schwächere Staaten auszuschließen und sich einseitig auf Exporte zu verlassen, endgültig gescheitert.

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