#Chaos Computer Club

Millennium-Trilogie: Der Hacker als Kulturtechniker

von , 16.2.10

Die Botschaft ist nicht besonders stark verschlüsselt. „Armageddon was yesterday. Today we have a serious problem“, steht auf dem schwarzen Tanktop von Lisbeth Salander, der Hacker-Heldin von Stieg Larssons Millennium-Trilogie (Teil 2 läuft zurzeit im Kino). Der Schriftsteller Larsson hat seine Hausaufgaben offenbar gemacht: Denn das bedruckte T-Shirt, das kann jeder bezeugen, der schon einmal ein Treffen des Chaos Computer Clubs besucht hat, gehört tatsächlich zur Uniform der Computer-Experten, ebenso wie der Laptop-Rucksack, die gefärbten Haare und das Koffein-Getränk. „Copyright ist Aberglaube“, lautet ein Beispiel. Oder: „Realität ist dort, wo der Pizza-Mann herkommt.“

Hacker nutzen eben jede Möglichkeit, um eine Botschaft in den Fluss der Codes, Slogans und Logos einzuspeisen, egal ob mit mobilen Endgeräten, multiplen Eingabefenstern oder textilen Oberflächen. Das T-Shirt ist auch nur ein Massenmedium der Fußgängerzone.

Die Figur Lisbeth Salander ist mit dem T-Shirt, den Tätowierungen und Piercings natürlich zuallererst ein Klischee; die Millennium-Trilogie ist aber auch einer der ersten Blockbuster-Texte, in dem der Hacker als zentrale Figur auftaucht. Die Actionhelden der Vergangenheit brauchten große Muskeln und wenige Worte, um das Böse in die Schranken zu weisen. Salander aber, 1,50 Meter groß und nur 40 Kilogramm schwer, hat sich von ihrem biologischen Körper (wetware) emanzipiert, besitzt – so erfahren wir im Buch – ein fotografisches Gedächtnis, enorme Computer-Kenntnisse und ein gewisses „Interesse für Frequenzkalibrierung von Radioteleskopen in der Schwerelosigkeit“.

Der Erfolg der Millennium-Trilogie beweist: Der Computer-Nerd ist nicht länger ein Außenseiter, sondern eine potente Figur, die mit schwer durchschaubaren Befehlen und Klicks ihre Ziele erreicht. Das kann man fast jeden Tag in den Nachrichten erfahren: „Chinesische Hacker attackieren Google“. Oder: „Ein Hacker aus Berlin findet Sicherheitslücken im Mobilfunknetz“. Im 21. Jahrhundert werden Briefverkehr, Banking und soziale Beziehungen über Glasfaserkabel und Wifi-Sphären abgewickelt, die Welt ist eine Aggregation von Informationen, von denen manche verschlüsselt sind und viele chaotisch erscheinen, die aber allesamt Interpretation erfordern. Kurz: Es ist der ideale Spielplatz für den Hacker.

Das Stichwort „Hacker“ ruft bei vielen Menschen immer noch das Bild eines pickeligen Teenagers hervor, der mit PC und Telefonleitung in die Netzwerke eindringt, wie etwa im Film “War Games” (1983), in dem ein übermütiger 14-jähriger versehentlich den zentralen Rechner des Verteidigungssystems übernimmt und Atomwaffen einsetzen kann. Nun stimmt es sicherlich, dass Hacker manchmal aussehen wie ein Mashup aus Telekommunikationstechniker und Heavy-Metall-Gitarrist, und die Szene auch signifikante Schnittmengen zu gegenkulturellen Strömungen wie Gothic oder Punk aufweist. Aber: Hacken ist keine Teenager-Mode, keine temporäre Phase, die vorüber geht. Hacken ist eine Lebenseinstellung und eine Kulturtechnik von enormer Potenz.

Da gibt es die Hardware-Bastler mit Schraubenzieher und Lötkolben, die Elektromotoren und Computergehirne verschalten, da gibt es so genannte Viren-Autoren, die nach dem perfekten Schad-Programm suchen, und in der mutierenden Machtfülle des Codes eine eigene Form der Schönheit entdecken, da gibt es Security Consultants, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Firewalls und Daten-Tresore von Behörden und Konzernen auf ihre Einbruchssicherheit zu überprüfen, da gibt es politische Aktivisten und Internet-Lobbyisten, die Parlamente mit Positionspapieren und talking points für die Datenschutz-Debatten versorgen. All diese Akteure haben gemein, dass sie keine passiven Konsumenten sind, sondern die Software und die Systeme, mit denen wir jeden Tag umgehen, aktiv untersuchen und manipulieren. „Sie waren Hacker, keine Saboteure“, heißt es in der Millennium-Trilogie über Lisbeth und die verbündeten Ego-Rooter der Hacker Republic, „was sie wollten war der Zugang zu funktionierenden Netzwerken, nicht deren Zerstörung“. Hacker, meinte Tim Pritlove vom Chaos Computer Club mal in einem Interview, müssen nicht einmal mit Computern arbeiten: „Beim Hacken geht es vielmehr darum, vorgegebene Lösungen nicht einfach zu akzeptieren, sondern nach neuen Wegen zu suchen – auf allen gesellschaftlichen Gebieten.“

Auch Autotuner, Skateboarder und Multimedia-Künstler sind Hacker – deuten sie doch die vorhandenen Materialien und Inhalte mit einer Mischung aus Sachverstand, Spieltrieb und zivilem Ungehorsam für ihre Zwecke um.

Hacker bedienen den Computer nicht nur auf glatten und glänzenden Oberfläche der Betriebssysteme und widersetzen sich der konsumistischen Ideologie des Plug and Play. Die Hacker arbeiten in den tieferen Schichten der digitalen Organismen und greifen in den Kreislauf und Nervenbahnen ein. In der „Matrix“-Trilogie haben wir gelernt, dass man sich, wenn man die grünen Buchstaben des Quellcodes sieht, in den Innereien der Computer bewegt, und dass auf dieser Ebene die wahrhaft entscheidenden Schlachten geschlagen werden – so ist das in dem neuen Action-Film, die grellgrünen Lettern laufen über den Bildschirm wie früher das rote Blut.

In dem Film sieht man die Hackerin seltsamerweise nur selten am Computer sitzen. Noch hat die Traumfabrik keine Ikonographie des Informationskrieges geschaffen. Noch werden die meisten Konflikte in der analogen Welt gelöst, mit Axt, Tränengas und einem verdammten Colt. Nur äußerst selten filmt die Kamera den Bildschirm, die vielen Eingabefenster und Icons, und das blasse Gesicht von Lisbeth Salander, das sich darauf spiegelt – eigentlich passt das ganz gut für das Hacker-Dasein, die Überblendung von Mensch und Maschine, von Ich und Information.

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