#Andreas Pinkwart

Die neuen Leiden des Guido W.

von , 15.2.10

Guido Westerwelle leidet. Er leidet unter den dramatisch abstürzenden Umfragewerten der FDP, dem neuen Image als „Mövenpick-Partei“ und jetzt auch noch am geistigen „Sozialismus“ in uns allen – jener „spätrömischen Dekadenz“, die er in Deutschland ausgemacht haben will. All dies verleitet den 49-jährigen Parteichef, Bundesaußenminister und Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland zu Äußerungen, die in den eigenen Reihen verwundertes Kopfschütteln, beim Koalitionspartner unverkennbare Distanznahme und bei Opposition und Gewerkschaften Empörung und Entrüstung auslösen. Auch die Presse findet keine Gnade: von „Amoklauf“ (Heribert Prantl) über „aus Versehen gewählt“ (Thomas Schmid) bis zum “Draußenminister“ (Lorenz Maroldt) reichen die teils spottenden, teils vernichtenden Urteile.

Die Macht der Liberalen: Wie gewonnen, so zerronnen?
Dabei ist es nachvollziehbar, warum Westerwelles Nerven blank liegen (und sie liegen blank): Kaum ist, nach elf entbehrungsreichen Jahren, die Macht zurück gewonnen, so droht sie schon wieder zu zerrinnen. Und das ausgerechnet in Nordrhein-Westfalen, wo sowohl der Parteichef als auch der neue Generalsekretär der Bundespartei, Christian Lindner, beheimatet sind.

Sollte diese Bastion am 9. Mai verloren gehen und Landeschef Andreas Pinkwart den Posten des Vizeministerpräsidenten an eine/n Grüne/n abgeben müssen, dann käme dies einem Debakel gleich. In dessen Folge ginge nicht nur die schwarz-gelbe Regierungsmehrheit im Bundesrat verloren, es könnten auch in der FDP die Dämme brechen. Die Geduld an der Basis ist jetzt schon zu Ende, wie jeder beobachten kann, der in diesen Tagen einer Ortsverbands- oder Fachausschusssitzung beiwohnt. Fliegt die Partei jedoch in Düsseldorf aus der Regierung, dann könnte sich auch die Führungsfrage stellen. Und das könnte für Westerwelle ungefähr so ungemütlich werden wie sein nächster Transall-Flug in die Kampfzonen von Afghanistan.

Wenn des Parteichefs Nervosität also verständlich ist, dann stellt sich um so mehr die Frage, warum er ausgerechnet in der schrillen Provokation nicht das Heilmittel sieht. Warum er jetzt polarisiert, anstatt zu einen. Und warum er allen Ernstes glaubt, dass die Menschen mehr Tempo bei der Umsetzung liberaler Wahlkampfversprechen sehen wollten, wie es am Ende der blau-gelben Krisenklausur am ersten Februar-Wochenende hieß.

Das Problem liegt nicht darin, dass es den Wählern zu langsam geht mit der Reform des Steuer-, Renten- oder Gesundheitssystems. Was den fast 15 Prozent FDP-Wählern fehlt, ist ein klares Bild davon, was die Partei mit ihrem schönen Wahlerfolg eigentlich anfangen, wozu sie ihn nutzen, wohin sie Deutschland führen will. Völlig zu Recht fragen die Bürger im Land unvermindert nach dem Leitgedanken des schwarz-gelben Projekts – dem Überbau, aus dem diese Koalition ihre Legitimation und ihren Gestaltungsauftrag bezieht. Westerwelle spricht von der „geistig-politischen“ Wende, die er herbeiführen will. Das klingt verheißungsvoll. Noch überzeugender aber wäre es, wenn diese Chiffre auch mit Inhalt gefüllt würde. Und da muss, bitte schön, mehr kommen als eine vehemente Verbalattacke auf all diese bösen Sozialisten da draußen.

Intellektuelle Führung gefragt
Es muss auch deshalb mehr kommen, weil unserem Land eine Auseinandersetzung über den Sozialstaat bevorsteht, die all den bisherigen Streit über Hartz IV zur Petitesse degradiert. Die Einschnitte, Abgaben- und Steuererhöhungen, die ins Haus stehen, werden bisherige, eher zaghafte Belastungen um ein Vielfaches übersteigen – weil anders die astronomische Staatsverschuldung nicht in den Griff zu bekommen ist.

Verantwortungsvolle Politik bestünde darin, die Bürger behutsam und ohne weiteren Zeitverzug auf diese Einschnitte vorzubereiten. Derzeit ist Wolfgang Schäuble auf bestem Wege, die intellektuelle Führung in dieser Debatte zu übernehmen. Guido Westerwelle hat die Wahl: Entweder überlässt er dem Finanzminister – mal leidend, mal lärmend – das Feld. Oder er schwingt sich selber zum Erklärer eines grundlegenden Modernisierungsprojekts auf. An der dafür erforderlichen Kraft mangelt es dem Chefliberalen mit Sicherheit nicht.

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