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Piratenpartei: Mehr als die Autofahrerpartei auf der Datenautobahn

von , 12.2.10

Außer dem Zitat von den Piraten als Autofahrerpartei der Netze wurde (mit Ausnahme einer kurzen Einschätzung bei netzpolitik.org) bisher wenig zur Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung zur Piratenpartei gesagt. Ich habe mir die Studie etwas genauer angesehen.

Das Fazit vorab: Deskriptiv ganz in Ordnung, politikwissenschaftlich und soziologisch zu wenig ausgeführt. Das größte Versäumnis der Studie ist es, zu sehr auf der Inhaltsdimension zu beharren – und ein völlig fehlendes Verständnis für die Besonderheit der Struktur der Piratenpartei.

Die ersten sechs Kapitel referieren weitgehend korrekt, aber auch überraschungsfrei Geschichte und Hintergründe (neue Erkenntnisse, die man nicht aus Henning Bartels in der Studie viel zitiertem Piratenpartei-Buch oder auch kompakter aus meiner eigenen Übersicht ziehen könnte, gibt es dort nicht). Dabei fällt auf, daß vor allem die Außenwahrnehmung geschildert wird und die Partei auf ihre Inhalte reduziert wird. Dieser Fokus macht sich in den Schlüssen der eigentlichen Analyse bemerkbar.

Das siebte Kapitel, »Etablierungschancen«, beschränkt sich weitgehen darauf, Chancen aufgrund des sich ausdifferenzierenden Parteiensystems zu konstatieren:

Erklärt werden diese Entwicklungen u. a. mit Individualisierung, der Auflösung und Schrumpfung sozialer Großgruppen und gesellschaftlicher Differenzierung. Gruppenkohäsion, kollektive und gruppenspezifische Orientierungsschemata, Tradition und Milieubindung spielen als wahlentscheidende Motive eine geringere Rolle. (S. 24)

Das ist etwas enttäuschend; die einzigen wissenschaftlichen Aussagen konstatieren nicht viel mehr als die Möglichkeit der Ausdifferenzierung des Parteiensystems – das trifft aber auf die Piratenpartei wie auf jede andere Kleinpartei zu und sagt noch nichts über die konkrete Zukunftsperspektive der Piratenpartei aus. Makrosoziologische Theorien zur Parteienbildung werden nicht weiter aufgegriffen, weder die Konfliktlinien-Theorie – die eine Deutung der inhaltlichen Dimension ermöglichen würde – noch eine sozial-moralische Milieutheorie, obwohl das mit der Behauptung der Entstehung einer »eigenen „abgegrenzten“ digitalen Kultur, einer Netz-Community« (S. 33) angedeutet wird.

Im Abschnitt zwei, »Ein-Themen-Partei und Organisationsstärke« findet sich das Schlagwort von der Autofahrerpartei:

[D]ie Piraten [beanspruchen] eher den Kurs der Autofahrer-Partei: freie Fahrt und freies Netz. (S. 27)

Der Autor grenzt damit die Piraten von den Grünen ab, die bei ihrer Entstehung bereits zu verschiedenen Politikfeldern positioniert haben. Ich sehe gerade in diesem zentralen Vergleich die große Schwäche der Studie: Eine Reduzierung der Piratenpartei allein auf ihre Inhalte. Das Label »Anti-Parteien-Partei« wird ebenfalls weitgehend inhaltlich aufgefaßt in Abgrenzung zu den etablierten Parteien, die die Tragweite der Bedeutung von Netzpolitik noch nicht erfaßt haben und denen die Fachleute dafür fehlen. Die Organisation der Piratenpartei wird zwar als neu erkannt, die Stärke und die zentrale Bedeutung aber nicht:

In Analogie zum inhaltlichen Gehalt der „Single-Issue-Partei“ schafft es die Piratenpartei, auch in organisatorischer Hinsicht als Internetpartei aufzutreten – und so organisatorische Defizite einer Kleinpartei zu kompensieren. Sie beansprucht, basisdemokratisch organisiert zu sein und ihre Mitglieder und Aktivisten in höchstem Maße an Entscheidungen durch die Nutzung von Web 2.0-Instrumenten zu beteiligen. (S. 28)

Die Verbindung aus dem soziologischen Befund von oben – Individualisierung, Auflösung und Schrumpfung sozialer Großgruppen, gesellschaftliche Differenzierung – mit der organisatorischen Dimension unterbleibt. Die Organisation der Piratenpartei ist eben nicht nur ein »Nimbus des Neuen« (S. 28), sondern eine besondere Stärke. Während in anderen Parteien Mechanismen zur Interessensvertretung und Organisation (Geschäftsordnungen, Struktur, Aufbau …) seit langem konstant sind und im Prinzip immer noch Organisationsformen des 19. Jahrhunderts abbilden, ist die Piratenpartei gerade durch ihre Durchlässigkeit und ihren Fokus auf transparente Beteiligung attraktiv. (Interessant dazu ist Folge 5 des Piratengespräche-Podcasts, der bei der Nachbetrachtung des Landesparteitages Nordrhein-Westfalen organisatorische Experimente anspricht, die so in etablierten Parteien wohl nicht möglich wären, von alternativen Wahlverfahren bis hin zu Liquid democracy.)

Das Versäumnis, den Erfolg der Piraten auch an der eigenen unzureichenden Partizipationskultur festzumachen, zieht sich auch durch das Fazit und die vorgestellten Handlungsoptionen. Während den Piraten Agenda setting im inhaltlichen Bereich zuerkannt wird, wird eine mögliche Auswirkung auf die eigene Organisation ausgeblendet. Die im Titel geäußerte Vermutung, es handle sich um eine Partei der Digital natives (das würde auch bedeuten, daß irgendwann alle Digital natives sind, weil die Digital immigrants schlicht wegsterben), wird implizit verneint: Die Klientel der Piraten bilde ein eigenes Milieu. Das ist bequem für etablierte Parteien, die damit nicht grundsätzlich organisatorisch umdenken müssen. Das ist aber auch kurzsichtig: Daß die Entstehung und der Erfolg der Piratenpartei zwar eng thematisch umgrenzt ist, aber eben nicht nur ein inhaltlicher Reflex auf Tagespolitik ist, sondern auch eine Folge einer gesellschaftlichen Großwetterlage, taucht nicht auf. Daß die Piratenpartei als erste Parteiorganisation agiert, die (nicht einmal notwendig bewußt) organisatorisch Konsequenzen aus dem Niedergang etablierter Organisationen und dem Erfolg unkonventioneller Bündnisse (AK Vorratsdatenspeicherung, Attac, campact) zieht, taucht auch nicht auf.

Die Handlungsoption überrascht aus dieser Perspektive dann auch nicht:

Wichtig ist für die Volksparteien, im Besonderen für deren Nachwuchswerbung, die neuen Kommunikationswege zu verstehen und kluge Dialogangebote zu unterbreiten.

Die Studie versäumt es also, das tatsächlich Neue an der Piratenpartei zur Kenntnis zu nehmen und daraus Schlüsse zu ziehen; solange »neue Kommunikationswege« nur als neue Seitenarme der alten Kanäle begriffen werden, wird die Tragweite gesellschaftlichen Wandels ignoriert.

Dialogangebote reichen nicht aus, um auf den beschriebenen gesellschaftlichen Wandel einzugehen: Es kommt darauf an, selbst wieder eine Organisationsform zu finden, die es schafft, viele Menschen einzubinden.

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Dieser Text hat Felix Neumann auch in seinem Blog fxneumann.de veröffentlicht.

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