#Facebook

Ein analoger Abend

von , 14.12.09

Ich wollte mal sehen, ob ich es noch hinkriege, ein bißchen analog zu sein. Nur damit es keine Mißverständnisse gibt: Ich bin gern digital. Es ist angenehm. Ich kann um vier Uhr früh einkaufen, obwohl es das Ladenschlußgesetz gibt. Ich kann einen Text, der, sagen wir: am nächsten Tag in Zürich sein muß, mit einem Klick dorthinschicken – vor 20 Jahren mußte ich erst einmal herausfinden, wann nachts die letzten Fernzüge losfahren und wo der Postwaggon ist (an dem sich ein Briefschlitz befand, durch den man vom Bahnsteig aus frankierte Umschläge einwerfen konnte; gleich darauf hörte man den Postbeamten im Waggon den Stempel auf die Marke knallen).

einkaufszentrum-nachts-busEs ist auch unterhaltsam, digital zu sein. Vorhin wünschte sich ein Freund auf Facebook zu Weihnachten für die Büroheizung “eine mittlere Stufe, also eine zwischen Nordgrönland und Sahel-Zone”. – “Tut mir leid”, schrieb ich ihm, “in der digitalen Welt gibt’s nur 0 oder 1.” Andere Freunde kamen hinzu.

Auf Facebook gibt es nur Freunde. Zumeist sind das fremde Menschen, aber gemeinsam bei Facebook zu sein, macht leutselig. Einer votierte für ein Binärsystem mit Fließkommazahlen. Ein anderer wies darauf hin, dass man mit acht Heizkörpern nach dem Null-Eins-System bereits 256 verschiedene Temperaturen darstellen kann. Ich schlug eine fraktale Heizung vor. So ist man digital und hat Spaß.

Bei allen Annehmlichkeiten, die das Digitalsein also für sich hat, wollte ich dasselbe auch wieder einmal für’s Analogsein sehen. Vielleicht eine Adventslaune; warum auch immer. Dass es nun so früh dunkel wird, machte den Übergang weicher. Die abendlichen Lichter und die aufkommenden Weihnachtsbeleuchtungen, die wie Menüzeilen Fensterränder und Balkonbrüstungen säumen, geben der Welt der Dinge etwas geradezu Bildschirmhaftes.

Es roch unspezifisch nach Spätherbst, ich vermißte den Vorabduft von Schnee und den blauen Schimmer einer frischen Schneedecke im Dunklen. Vor den erleuchteten Schaufenstern lagen Teppiche aus Licht auf dem Gehsteig. Ich ging in ein Einkaufszentrum und kaufte mir einen Kugelschreiber und einen Notizblock, setzte mich in eines der Eiscafes, die inzwischen ganzjährig geöffnet bleiben, und begann, meine Kolumne zu schreiben.

Ich hatte eine Weile gesucht, bis ich den richtigen Kuli gefunden hatte; mit kaum etwas schreibt es sich besser als mit einer solchen weichen Mine. Ich benutze diese Art Schreibgerät manchmal, wenn ich am Rechner mit dem Schreiben nicht weiterkomme und dann mit der winzigen Kugelschreiberkugel alles wieder ins Rollen kommt. Für mich gibt es da keine Sentimentalitäten. Es gibt eine immer weiter zunehmende Fülle von Schreibinstrumenten, aus denen ich je nach Maßgabe auswählen kann. Meist schreibe ich am Computer, aber auch wenn ich mit dem Kuli keine Emails verschicken kann, hielte ich die Selbstbeschränkung auf den Rechner für dumm.

Ein kleiner Junge ging vorbei. Er hatte gerade erst laufen gelernt und wackelte noch ein wenig. Sein Vater neben ihm schob den Kinderwagen, und man konnte sehen, dass der Junge vor einem für ihn völlig neuen Problem stand. Er wäre gern in dem Kinderwagen geschoben worden, aber der war mit einem größeren Einkauf vollgepackt. Der kleine Junge sah sich einer unerwarteten Konkurrenz durch die Dinge gegenüber. Der Eindruck, den diese stummen, bräsigen Inbilder der Analogwelt in dem Jungen hinterließen, würde zweifellos nachhaltig sein. Sowie er einen Rechner würde bedienen können, und vielleicht konnte er das schon, würde er sehen, wie sich das Blatt wenden ließ und er sein Revier in eine ganze Welt erweitern konnte, zu der Dinge keinen Zutritt hatten. Am Nebentisch unterhielt sich ein Pärchen über alberne USB-Stecker.

Ich ging wieder raus auf die Straße.

Dieser Beitrag erscheint als Crossposting. Peter Glaser bloggt auf Glaserei.

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