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BBC unterliegt im Public-Value-Test

von , 22.11.08

Ihre Aufsicht stoppte am Freitag die BBC-Pläne für mehr als 60 neue Lokalvideosites mit einem Jahresetat von über 20 Millionen Euro. Das Vorhaben sei zu teuer, biete zu wenig Mehrwert und habe signifikant negative Auswirkungen auf den Wettbewerb.

Michael Lyons, BBC Trust-Vorsitzender: “Einfach nicht die richtige Antwort

Der Vorsitzende des Aufsichtsorgans BBC-Trust, Michael Lyons, erklärte am Freitag: “Die Nutzer wünschen sich mehr lokale BBC-Inhalte – aber jährlich 240.000 Videos für mehr als 80 Millionen Euro über vier Jahre sind einfach nicht die richtige Antwort.” Der erwartbare Mehrwert der geplanten BBC-Lokalvideosites könnte derart hohe Gebührenausgaben nicht rechtfertigen.

Deutliche Worte fand Lyons auch zu den marktbezogenen Auswirkungen des BBC-Plans: “Wir gehen von signifikant negativen Effekten aus, weil andere Anbieter davon abgehalten werden könnten, ihre Online-Angebote in einem ohnehin schwierigen Umfeld weiter auszubauen.” Insgesamt seien die negativen Auswirkungen des BBC-Vorschlags größer als der Mehrwert für Gebührenzahler und Mediensystem.

Die Entscheidung bedeutet einen erheblichen Rückschlag für die Online-Pläne der BBC. Das Vorhaben hätte ihren derzeitigen Online-Etat um rund ein Viertel erhöht. Die Angelegenheit ist zugleich von großer Signalwirkung auch für Deutschland: Die BBC ist die erfolgreiche öffentlich-rechtliche Vorreiterin in Sachen Internet. An ihrem Beispiel wird die zukünftige Rolle der Rundfunkanstalten im Netz verhandelt. Das ZDF lud eigens BBC-Direktor Mark Thompson zur diesjährigen Funkausstellung nach Berlin ein, um für die eigenen Online-Pläne zu werben. Vor einigen Tagen sorgte der konservative britische Abgeordnete Philip Davies mit der These für Aufsehen, die zunehmende Zahl von BBC-Streams im Internet sei der “Todesstoß für die Fernsehgebühr”.

Analyse der Ofcom: Signifikante Auswirkungen auf das Investitionsverhalten.

Für den Medienkolumnisten Roy Greenslade ist die Trust-Entscheidung ein “Wendepunkt in der Rundfunkgeschichte”. Der Trust habe erstmals seine Muskeln gezeigt und der BBC eine Totalabfuhr erteilt. Tatsächlich betritt der Trust mit seinem Votum neues Terrain: Erstmals wird von einer Rundfunkaufsicht für ein Schlüsselprojekt festgestellt, dass öffentlich-rechtliche Online-Pläne derart überdimensioniert und vielfaltsgefährdend sein können, dass man erwägen kann, von ihrem Angebot abzusehen. Dabei stellte der Trust vor allem das Ausmaß der Pläne in Frage: 240.000 Videos pro Jahr schienen ihm eher geeignet, private regionale Anbieter einzuschüchtern, als auf den inhaltlichen Mehrwert für den Endnutzer fokussiert zu sein.

Das Vorgehen des Trusts zeigt, wie schwer und zugleich notwendig der Abwägungsprozess um die neue Rolle der öffentlich-rechtlichen Anstalten als Mehrwert-Anbieter der digitalen Informationsgesellschaft im konkreten Fall ist. Der Trust hat den sehr weitgehenden Plan für seine Profilierung und den Nachweis seiner Unabhängigkeit zu nutzen gewusst. Die Entscheidung ist ausgewogen und klug begründet. Dergleichen steht den deutschen Kollegen noch bevor, wo die Tests bekanntlich von den Rundfunkräten durchgeführt werden.

Britisches Verlegerfernsehen: Von Sparrunden gebeutelt und wenig impulsiv.

Das Unbehagen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten hierzulande mit dem soeben installierten kleinen Bruders des Public-Value-Tests, dem Drei-Stufen-Test, ist groß. Er wird gerne als “Drei-Schluchten-Test” gescholten. Dahinter steckt der Verdacht, dass ein ehrlicher Drei-Stufen-Test den Anstalten zwar Raum auch im Internet freihalten wird – dieser aber im Vergleich zum Rollenmodell der alten TV-Medienordnung deutlich beschränkter sein wird. Die Trust-Entscheidung vom Freitag scheint genau dies anzudeuten. Zugleich sollte man ihre Bedeutung für die deutsche Medienlandschaft nicht überbewerten: Hierzulande herrschen andere Strukturen. Und es gibt ein Bundesverfassungsgericht.

Die Trust-Entscheidung spielt gerade auch den britischen Verlegern in die Hände, von denen allerdings angesichts von Rezession und Werbeflaute in Sachen Online-Regionalinhalte vor allem Sparrunden und wenig Impulse ausgehen. So gesehen ist das Votum vom Freitag auch als Bewährungsprobe für die Verleger zu verstehen. Entweder nutzen sie das Zeitfenster, das ihnen der Trust nun eingeräumt hat, für eine kontinuierlich steigende Vielfalt und Qualität bei regionalen und lokalen Video-Inhalten oder der Trust könnte es sich mit seiner Bewertung dieses Segments noch einmal anders überlegen. Dabei werden Verlage und private Rundfunkstationen allein die Lücken kaum schließen können. Es werden sich neue Plattformen, Institutionen und Finanzierungsmodelle herausbilden müssen – wie etwa die von der New York Times sehr positiv besprochene Site Voice of San Diego. Es wäre grob falsch, die Diskussion um journalistische Vielfalt und Qualität im Internet auf den Gegensatz Öffentlich-Rechtliche vs. Verlage zu reduzieren.

Material:
Pressemitteilungg des BBC Trust
Roy Greenslade über die Trust-Entscheidung
New York Times über die Trust-Entscheidung
Die BBC über die Trust-Entscheidung
e-comm über die Trust-Entscheidung
Reuters über die Trust-Entscheidung
Marktanalyse der Ofcom
ZDF wirbt mit BBC Direktor Mark Thompson
Davies: Todesstoß für die Fernsehgebühr
New York Times über die Voice of San Diego

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