#Clay Shirky

An der Flüchtigkeitsfront

von , 6.10.09

Vor 30 Jahren war die Softwareindustrie als neuer Player auf den Plan getreten – heute sind es Google, Wikipedia, Facebook & Co.  Und mit der Virtualisierung der Kulturdinge verlieren auch die damit verbundenen Begriffe ihre Festigkeit. Für Vertreter der Piratenpartei beispielsweise ist geistiges Eigentum “das falsche Konzept”.

In seinem Essay “Zeitungen – Nachdenken über das Undenkbare” beschreibt Clay Shirky, wie bei dem Zeitungsverlag Knight-Ridder 1993 Nachforschungen angestellt wurden, als die populäre Kolumne des Humoristen und Pulitzer-Preisträgers Dave Barry unlizensiert verbreitet wurde. Im Netz fanden sich unter anderem eine eigene Dave Barry-Newsgroup und eine Mailingliste, die ein paar tausend Leute lasen. Und es fand sich ein Teenager aus dem mittleren Westen, der die Kolumnen von Hand im Internet verbreitete. Er liebte die Sachen von Barry so sehr, dass er dafür zu sorgen versuchte, dass möglichst jeder sie lesen konnte. Shirky erinnert sich an eine Bemerkung des damaligen Online-Chefs der New York Times, Gordy Thompson, zu diesem Phänomen: “Wenn ein 14-jähriger Junge dein Business in seiner Freizeit hochgehen lassen kann – und zwar nicht, weil er dich haßt, sondern weil er dich liebt –, dann hast du ein Problem.”

Aus dem digitalen Schlachtengetümmel, mit dem das 21. Jahrhundert seinen Anfang nimmt, ragt das Urheberrecht auf wie Schloss Camelot und soll den Chancen und Fährnissen der digitalen Welt angepasst werden. Ende 2003 wurde der “erste Korb” zur Reform des aus dem Jahr 1965 stammenden deutschen Urheberrechts verabschiedet. Er beinhaltet unter anderem das Verbot, den Kopierschutz digitaler Datenträger zu knacken – auch dann, wenn die Vervielfältigung eigentlich erlaubt wäre. Eines der umstrittensten Themen des im Juli 2007 verabschiedeten “zweiten Korbs” war die Regelung zu Privatkopien, die erlaubt bleiben; ein vorhandener Kopierschutz darf dazu aber nicht umgangen werden. Ebenso ist es nun unzulässig, eine Privatkopie anzufertigen, wenn eine Datei “offensichtlich rechtswidrig” online gestellt wurde. Damit sollen Downloads aus Tauschbörsen verboten werden.

Wie solches Recht durchgesetzt werden soll, ohne eine ganze Generation von Tauschbörsennutzern zu kriminalisieren, kann der zweite Korb nicht beantworten. Auch die Frage, wie man sicherstellen kann, dass Künstler auch künftig für Ihre Kunst angemessen entlohnt werden, bleibt mit Hinweisen auf neue Geschäftsmodelle vorerst abstrakt – wiewohl es mit Apples iTunes Music Store bereits eine erfolgreiche Methode gibt, online Musik zu verkaufen (iTunes wurde zu einem Zeitpunkt gestartet, als Tauschbörsen bereits ein Massenphänomen waren).

Eine große Lösung wäre die Einführung einer Kultur-Flatrate in Form einer Pauschalabgabe auf Internet-Anschlüsse; im Gegenzug könnte die Verbreitung digitaler Kopien legalisiert werden. In einem Gutachten im Auftrag von Bündnis 90/Die Grünen kommt das Institut für Europäisches Medienrecht zu dem Schluß, dass “die gesetzliche Einführung der Kulturflatrate … nicht weniger [sei] als die logische Konsequenz der technologischen Revolution, die durch das Internet erfolgt ist.“ Die Industrie hat längst ihre eigene Art von Pauschalmodellen in Betrieb genommen. Provider in verschiedenen europäischen Ländern bieten ihren Kunden für 5 bis 10 Euro im Monat Zugriff auf mehrere Millionen DRM-gesicherte Musiktitel, die sich in Luft auflösen, wenn das Abo erlischt. “Es geht”, so der Mediensoziologe Volker Grassmuck, “gar nicht mehr um das Ob einer Flatrate, sondern nur noch um die Frage, wie und zu wessen Gunsten.”

Von Werbekrise und Kostenloskultur im Netz attackierte Zeitungsverleger versuchen, für ihre Tätigkeit ein dem Urheberrecht verwandtes Leistungsschutzrecht zu erstreiten. Peter Mühlbauer weist darauf hin, dass das fatale Folgen haben kann. Wenn etwa Google für die gemeinfreien Bücher, die das Unternehmen massenhaft einscannt, Geld nehmen würde, könnte man ein solches Werk herunterladen und einfach anderswo kostenlos anbieten. Verhindern könnte Google das, wenn ein Leistungsschutzrecht auf die Scans geltend gemacht werden kann – womit genau das erreicht wäre, was verhindert werden sollte, nämlich ein Google-Monopol des Weltwissens.

Im Widerspruch zu einem marktwirtschaftlich frei fließenden Datenstrom stehen die Einkapselungen der Inhalte in die Datenkäfige des Digital Rights Management (DRM). “Eigentum ist Diebstahl” erhält auf diese Weise eine ganz neue Bedeutung, denn ginge es nach dem Willen von DRM-Falken, würde es ein Eigentum der Nutzer an digitalem Gut nicht mehr geben. Bücher, Musik, Filme oder Software, die diesen neuen  Beschränkungen unterliegen, kann man quasi nur noch ausleihen, wie ein Kolchosegerät. Bei einer solchen Neubewertung des Urheberrechts scheint es im Kern darum zu gehen, das Privateigentum abzuschaffen. Der Kommunismus ist an dem Versuch gescheitert. Soll der Idee nun mit den Mitteln des digitalen Kapitalismus doch noch zum Sieg verholfen werden?

Peter Glaser bloggt auf Glaserei, wo auch dieser Beitrag erschien.

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