Medienschau zum Wahlkampf IV – Koalitionskalküle, Repräsentationsfragen, Fernsehauftritte

von , 11.9.09

Die seit der Zeit nach den Landtagswahlen vielerorts konstatierte neue Unübersichtlichkeit im Fünf-Parteien-System war auch in dieser Woche Thema. Taktisches Wählen sei mittlerweile – so Jörg Lau in der Zeit – zu einer “hochkomplexen Nanotechnologie” geworden. Kritisch sieht Christian Semler in der taz die Entwicklung. Zwar bezweifelt er, dass beim Wähler längerfristig Kenntnisse in Rational Choice- und Spieltheorie vonnöten seien, sieht jedoch aktuell die thematische Orientierung durch abstrakte Koalitionskalküle verdrängt.

Für Gustav Seibt in der SZ verweist die neue Optionenvielfalt auf den Gegensatz von Gesinnungs- und Verantwortungsethik, wie einst von Max Weber beschrieben. Der Wähler könne seinen Überzeugungen folgen und die Konsequenzen ignorieren, oder aber Wetten auf mögliche zukünftige Konstellationen eingehen. Wo aber alle über Bande spielen, führe sich die Taktik selbst ad absurdum, gefragt sei daher eine Mischung aus beidem.

Robert Misik antwortet im Böll-Wahlblog auf die These von Deutschland als einer failed democracy. Bereits vergangene Woche hatte Bertrand Benoit in der britischen Ausgabe der Financial Times diese Meinung vertreten; seinen Ausführungen nach habe der Wähler im Fünf-Parteien-System den Einfluss auf die Regierungsbildung nahezu verloren (Überschrift: “Broken voting system opens way for divine intervention”).

Ein “Requiem für eine Volkspartei” – die SPDstimmt Volker Zastrow in der FAZ an. Seit der Agenda-Politik sei diese im Niedergang befindlich, nun stünde die Partei wie Opel ohne Käufer da. Die Linke könne sie nicht mehr zurückdrängen, wie sie es schon mit den Grünen nicht vermocht habe, sie sei nun einfach eine von drei linken Parteien. Ihr relativer Einfluss wachse damit allerdings. Gleichwohl endet der Artikel mit den Worten: “Die SPD als Volkspartei gibt es nicht mehr.”

Miriam Meckel nimmt die Dienstwagenaffäre Ulla Schmidts zum Anlass, über die Repräsentation der politische Klasse in den Medien nachzudenken. In ihrem “Das Volk will lachen und sie leiden sehen” betitelten Beitrag in der FAZ argumentiert sie, der Gedanke, dass Politikern etwas zustehen könnte, sei den Deutschen fremd. Schlussfolgerung: “Wenn in die Politik zu gehen weder Ansehen bringt noch materielle Absicherung, bleibt nur ein Antrieb: die Macht.” Über den Menschentypus, der dann Politik mache, dürfe man sich dann nicht wundern.

Repräsentation ist auch Thema in Diedrich Diederichsens Artikel in der taz über die Inszenierung von Politikern, in der er einen “elend unangemessen-narzisstischen Stolz auf die eigene Konkretheit” ausmacht. Man könne dem Repräsentationsprinzip direktdemokratische Argumente entgegenhalten.  Wer sich aber darauf einlasse, müsse auch die damit verbundene Abstraktion akzeptieren, die einen Abgeordneten ausmache: nicht zu sein wie die, die vertreten werden.

Daneben wurden auch die ARD-Fernsehauftritte von Merkel und Steinmeier beobachtet. Martin Tofern lobt im Handelsblatt das simple Frage-Antwort-Format der ARD-Wahlarena, bei dem Angela Merkel eine gute Figur gemacht habe. “Im Wattebauschweitwurf gegen Kanzlerin Merkel kann Kandidat Steinmeier mithaltenfrotzelt Alexander Kissler in der SZ; Tobias Moorstedt bemerkt ebenda, das Wort von der Arena zeige, dass die Verantwortlichen die Idee einer Bürgerversammlung nicht verstanden hätten. Einen Rückblick auf die generalstabsmäßigen und minutiösen Vorkehrungen zum ersten deutschen Fernsehduell zwischen Gerhard Schröder und Edmund Stoiber wirft Michael Spreng in seinem Blog.

Einen Kollateralschaden im Wahlkampf meldet die Rheinische Post. In Pfalzdorf kam es zu einem Ausfall der Internet- und Telefonverbindungen: “Anwohner im Bereich Klever Straße/Anna-Schüll-Weg seien davon betroffen, weil ein Hauptkabel im Boden durch das Aufstellen eines CDU-Wahlkampfplakates zerstört worden sei“. Wie der Westen berichtet, wurde das CDU-Plakat mittlerweile entfernt, während einige Anwohner weiter auf den Anschluss warten.

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