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Geldpolitik: Knackpunkt Timing

von , 3.9.09

Die guten Nachrichten häufen sich. Mehr und mehr Länder haben die Talsohle der Wirtschaftskrise erreicht. Es geht wieder aufwärts. Chinas Wirtschaft ist im zweiten Quartal 2009 bereits wieder um fast 8 % gewachsen. Japan meldet ebenso ein starkes Plus, Deutschland und Frankreich wenigstens ein schwaches. Selbst aus den USA gibt es positive Zeichen der Erholung. So sind in den letzten Wochen überraschend viele neue Eigenheime verkauft worden und der Arbeitsmarkt hat sich stabilisiert. Die schwerste Rezession seit den 1930er Jahren ist vorüber. Zumindest scheint es so. Doch es bleiben einige Risiken. Sie lassen viele an Stärke und Nachhaltigkeit des Aufschwungs zweifeln.

Pessimisten sehen die Gefahr eines W-Verlaufs der Konjunktur.
Nach der ökonomischen Aufhellung der letzten Wochen würden Geld- und Fiskalpolitik zu früh zu einer Stabilisierungspolitik zurückkehren. Notenbanken würden die Zinsen anheben, um keimende Inflationserwartungen zu unterbinden. Finanzminister erhöhten die Steuern und kürzten die Ausgaben, um die aus dem Ufer gelaufenen Staatsdefizite einzufangen. In der Summe würde das noch schwache Pflänzchen der Konjunkturverbesserung brutal seines Lebenselixiers beraubt. Die Folge: Rezession und Deflation werden zu einem langanhaltenden Dauerzustand. Ein L-Szenario wäre das Ergebnis, so wie es Japan in den 1990er Jahren widerfahren ist. Eine verfrühte Exit-Strategie der Bank of Japan und eine Steuererhöhung 1997 hatten dort für ein „verlorenes Jahrzehnt“ mit einer zähen ökonomischen Depression gesorgt. Die japanische Erfahrung wird heutzutage den Notenbanken weltweit eine eingängige Lehre sein, der Politik des billigen Geldes lieber zu lange als zu kurz zu folgen und den Exit möglichst hinauszuzögern.

Die Optimisten hingegen glauben an einen V-Verlauf der Konjunktur.
Dem dramatischen Einbruch seit dem Konkurs von Lehman Brothers vor genau einem Jahr folge nun ein ebenso rascher wie starker Aufholprozess. Dafür sprächen die realwirtschaftlichen Fakten. Anders als nach einem Krieg oder einer Naturkatastrophe sind durch die Finanzmarktkrise keine Menschen Opfer militärischer oder auch natürlicher Gewalt geworden. Ebenso wenig sind Infrastruktur, Produktionsanlagen oder Rohstoffe zerstört worden.

Physisch ist die Welt vor und nach der Finanzmarkt unverändert und unversehrt die selbe geblieben. „Nur“ Vermögen sind vernichtet, oder besser: neu bewertet, worden. Das ist schmerzlich bis schrecklich für die Betroffenen. Für die Welt als Ganzes ist es aber letztlich zunächst unbedeutend. Denn (Vermögens-)Bewertungen spielen sich im Kopf der Menschen ab. Sie beeinflussen höchstens, was und wie produziert wird.

Angesichts der weltweit unverändert bestehen bleibenden Massenarmut in Regionen außerhalb der OECD-Länder werden die meisten Menschen unabhängig von der Neubewertung der Vermögen anderer auch weiterhin zunächst einmal eine existenzielle Nachfrage nach überlebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen zur Befriedigung der Grundbedürfnisse haben. Also wird die Weltwirtschaft rasch zu einem Zustand mit starkem bis stürmischen Wachstum zurückkehren, schneller als viele das heute sich vorstellen können.

Realistischerweise muss hierzulande wohl mit einem U-Verlauf der makroökonomischen Entwicklung gerechnet werden. Die hiesige Wirtschaft dürfte das Schlimmste hinter sich haben. Sie wird wieder wachsen. Weltuntergang und ein allgemeiner Bankencrash sind ausgeblieben. Langsam kehren das Vertrauen in die Marktwirtschaft und in die Kreditbeziehungen zurück. Allerdings dürfte der Aufholprozess nicht sehr dynamisch verlaufen.

Gründe hierfür gibt es viele:

Erstens hat die Finanzmarktkrise dramatisch viel Kapital zerstört. Nach einer zwar sehr groben Schätzung der Commerzbank Research dürften die Wertverluste weltweit über 10 Billionen US-Dollar betragen. Dieses Kapital fehlt als Sicherheit einerseits bei den Banken, um Kredite zu vergeben und andererseits bei den Unternehmen, um (günstiges) Fremdkapital zu erhalten. Als Konsequenz muss es nicht zwangsläufig zu einer immer wieder beklagten, bis anhin aber von der Bundesbank nicht bestätigten, Kreditklemme kommen. Aber die Beschaffung von Fremdkapital wird teurer werden. Das wiederum bedeutet, dass die Investitionsneigung geringer und damit das Tempo von Erneuerungs- und Erweiterungsinvestitionen verlangsamt werden. Das bremst die Wachstumsdynamik und wird dazu führen, dass das Potenzialwachstum, also die „normale“ durchschnittliche jährliche Wachstumsrate, für Deutschland in den nächsten Jahren eher unter als über 1,5 % liegen dürfte.

Zweitens werden sich die realwirtschaftlichen Folgen der Finanzmarktkrise erst in den nächsten Quartalen so richtig bemerkbar machen. Vielerorts dürften bald auch die letzten Reserven an Auftragsbeständen abgearbeitet sein. Dann gewinnen Entlassungswellen, Konkurse und Insolvenzen an Dynamik. Es wird zu Kurzarbeit und Firmenpleiten kommen. Der (noch) zarte Aufschwung hilft hier nicht wirklich. Dafür waren die Umsatzeinbrüche zu dramatisch. Hat ein Betrieb ein Minus von 20 % gegenüber dem Vorjahr, was in vielen Industrieunternehmen in diesen schwierigen Zeiten die Regel und nicht die Ausnahme ist, muss er länger als vier Jahre mit jährlich mindestens 5 % wachsen, um wieder auf das alte Niveau zurückzukommen. Das wird ohne Umstrukturierung und eben wohl auch ohne einen Beschäftigungsabbau nicht zu leisten sein. Ohnehin überlagern sich in einigen Branchen strukturelle Veränderungen und Überkapazitäten mit den konjunkturellen Folgen der Weltwirtschaftskrise. Das gilt in Deutschland ganz besonders für die Automobilindustrie. Hier wären so oder so Anpassungen fällig gewesen, die (zu) lange aufgeschoben worden sind.

Im Winterhalbjahr 2009/10 werden saisonale Effekte zu einer weiteren Eintrübung der Beschäftigungslage führen. Erst im Frühjahr 2010 werden die Arbeitslosenzahlen ihren Höhepunkt erreicht haben. Und erst danach wird es zu einer Umkehr und wiederum verbesserten Beschäftigungsaussichten kommen. Erst dann wird sich zeigen, ob die hiesige Wirtschaft zu einem länger anhaltenden, langsam stark und stärker werdenden, nachhaltigen Aufschwung zurückfinden wird.

Nimmt man das aus heutiger Sicht realistische Szenario als Grundlage der makroökonomischen Entwicklung, ergibt sich für die Notenbanken folgende Strategie: Für eine rasche Abkehr von der Politik des billigen Geldes und einem Exit aus der Nullzinswelt ist die Zeit noch zu früh. Eine Zinswende drängt sich in der Eurozone vor dem Frühjahr 2010 auf.

Allerdings sollte beim „quantitativen Easing“, also im Bereich der Geldpolitik jenseits der Zinspolitik, die Zeitdimension sukzessive verkürzt werden. Ebenso müsste den Märkten frühzeitig ein baldiger Ausstieg aus der Politik der quantitativen Lockerung und der reichlichen Liquiditätsversorgung angekündigt werden. Denn ab dem Frühjahr 2010 wird dann kein Weg mehr daran vorbeiführen, die Politik des billigen Geldes zu beenden. Nur so wird verhindert werden können, dass aus einer klugen und durchaus erfolgreichen Krisenbewältigungspolitik ein teurer Verlust der Preisniveaustabilität entsteht.

Dieser Beitrag stammt aus der Reihe Standpunkte des HWWI. Crossposting mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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