#Kulturflatrate

Markt- oder Allmendewirtschaft: Worum es bei der Kulturflatrate eigentlich geht

von , 17.6.09

Die Rufe nach einer Kulturflatrate werden immer lauter: Wolfgang Michal hat sie hier auf Carta mehrfach eingefordert. Nun appellieren auch Helga Trüpel und Oliver Passek von den Grünen auf Carta für ein solches Vergütungsmodell.

Trüpel und Passek schreiben:

Vereinfacht gesagt handelt es sich bei der Kulturflatrate um eine neue Allmende-Wirtschaft für die digitale Welt, die durch nahezu unerschöpfliche Ressourcen an Speicherkapazitäten und Inhalten geprägt ist. Sie stellt die bisherige Kulturökonomie vom Kopf auf die Füße

Tatsächlich kann man kaum stark genug betonen, wie erheblich sich eine Kulturflatrate von den bisherigen Prinzipien der Kultur-Marktwirtschaft unterscheiden würde. Ich bin nicht grundsätzlich gegen eine Kulturflatrate. Ich bin jedoch sehr skeptisch, ob wir mit einer solchen Vergütung den Zielen von Vielfalt, Qualität und fairer Vergütung von Kultur- und Medienprodukten wirklich näher kommen.

Bei der Kulturflatrate geht es um nichts weniger als eine völlig neue digitale Allmende-Wirtschaft: Die Produzenten laden alle ihre Inhalte in der digitalen Allmende ab. Für die Nutzung dieser Allmende wird eine Pauschalvergütung erhoben, die von einer Kommission nach bestimmten Schlüsseln verteilt wird. Die Kulturgüter werden folglich nicht mehr auf einem Markt gehandelt, sondern über eine kommissionsvermittelte Blackbox vergütet.

Dies hat erhebliche Folgen, wovon ich einige kurz skizzieren möchte:

1. Bei der Kulturflatrate wird jede Einheit gleich vergütet, es gibt keinen Preismechanismus: Die F.A.Z. kostet mehr als die Bild, weil die F.A.Z. pro Leser einen höheren Aufwand treibt und die Leser dies auch zu schätzen wissen. Bei der Kulturflatrate aber würde jeder Inhalt gleich vergüten. Das würde nicht nur aufwändige Produkte für kleinere Lesergruppen unmöglich machen. Wäre etwa der Seitenabruf die Basis der Vergütung, würde der Klickstrecken-Irrsinn noch stark zunehmen. Eine Kulturflatrate würde daher vor allem Massenprodukte und opportunistisches Verhalten fördern.

2. Bei einer Kulturflatrate wären die Einnahmen der Kultur-Produzenten dauerhaft gedeckelt. Wenn sich Kulturgüter, wie etwa eBook-Inhalte, besser verkaufen, dann wachsen bislang der Markt und die Einnahmen der Produzenten. Bei einer Kulturflatrate hingegen steht die Gesamthöhe der Vergütung von vorne herein fest. Die Summe der Künstler-Honorare bleibt immer gleich, egal wie erfolgreich sie sind. Dieser Deckel nimmt dem System erheblich von seiner Dynamik. Es ist zudem nicht gesichert, ob die Mittel überhaupt für eine angemessene Vergütung ausreichen. Und wer würde über die Angemessenheit entscheiden?

3. Die Schwierigkeiten der Abgrenzung: Bei einer Kulturflatrate wäre abzugrenzen, was überhaupt Kultur ist. Selbstverständlich müssten dann auch Pornos unter den Kulturbegriff fallen (sonst gäbe es ja weiter massiv Urheberrechtsverletzungen) und einige Leute werden überzeugt sein, dass ihre Tweets eigentlich auch vergütungsberechtigt sein sollten. Der Kulturbegriff müsste also ständig von einer Kommission überprüft und angepasst werden.

4. Ein unendlicher Streit um Vergütungsquoten: Bei der Kulturflatrate werden Filmproduzenten eine andere Vergütung pro Download verlangen als jene, die Nachrichtenfilmchen erhalten. Doch welche Quote ist hier angemessen? Wie wird die Zahl der Downloads genau bestimmt? Wer trägt hier die Verantwortung?

5. Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit: Ist es – bei aller Download-Problematik – wirklich angemessen, den Urhebern mittels staatlicher Zwangslizenz alle ihre Rechte abzunehmen? Denn alle Urheber müssten sich mit der staatlichen Pauchalvergütung durch die Kulturflatrate zufrieden geben und hätten kein Recht gegen Urheberrechtsverstöße durch Privatnutzer vorzugehen.

6. Eingriff in die Persönlichkeitsfreiheit: Kann man heutzutage wirklich noch jemanden zwingen, eine Kulturflatrate (mit der maßgeblich auch  Trash vergütet wird) für seinen privaten Internetanschluss zu beziehen, auch wenn derjenige ihn nur für E-Mails und Facebook nutzt? Ich finde nicht. Ich finde, dass es ein Recht auf Nicht-Kulturkonsum im Internet gibt, so wie es ein Recht auf Nicht-Wählen gibt.

7. Will man ernsthaft in einer Welt der Online-Kulturproduktion leben, die allein vom Prinzip GEMA regiert wird?

8. Kulturflatrate und kommerzielle Distribution schließen sich aus: Wenn sich die Nutzer über die Kulturflatrate alle Inhalte kostenlos besorgen können, werden daneben keine Verkäufer (iTunes & co) bestehen können. Die Kulturflatrate wird sich so um Vergütungsmonopol mit sattem Verwaltungskostenansteil auswachsen.

9. Der einzige wirklich riesige Vorteil des Kulturflatrate-Modells ist die Legalisierung von bislang illegalen Downloads.

10. Zusammenfassung: Das Tauschprinzip der digitalen Allmende-Wirtschaft fördert opportunistisches Verhalten und Masseninhalte. Es ist undynamisch, leidet an ständigen Abgrenzungs- und Vergütungsquoten-Problemen. Es stellt einen massiven Eingriff in die Grundrechte von Kulturproduzenten und Nutzern dar. Es ersetzt die marktwirtschaftliche Bereitstellung durch einen Zentralvergütungskomplex mit strukturellen Verantwortungs- und Wissensdefiziten.

Aus den genannten zehn Punkten heraus bin ich weiter skeptisch, ob eine Kulturflatrate wirklich die Wende zum besseren wäre. Sie würde zwar das Problem der illegalen Downloads lösen. Sie würde aber wohl keine Infrastruktur bereitstellen, die für eine vielfältige, dynamische, effiziente und an den Wünschen der Nutzer ausgerichtete Kulturproduktion schafft.

Daher erscheint mir ein anderer dritter Weg zwischen klassischer Kultur-Marktwirtschaft und digitaler Allmende-Kulturwirtschaft als Kompromiss bedenkenswert: Eine Urheberrechtsabgabe für das Internet. Bei einem solchen Modell würde man weiter auf die marktwirtschaftliche Bereitstellung der Inhalte als Kernparadigma setzen. Zugleich würden die Kultur-Produzenten als Ausgleich für die illegalen, aber nicht zu verhindernden Downloads eine Vergütung erhalten, die auch von einer Art Verwertungsgesellschaft für das Internet erhoben wird.

Entscheidender Unterschied zur Kulturflatrate: Die Urheberrechts-Abgabe für das Internet wäre nur eine Zusatzvergütung für die Urheber, nicht das alleinige Geschäftsmodell. Die Urheber behalten ihre Rechte und können sie nach eigenem Gusto auswerten. Dabei könnten durchaus auch von den Urhebern und der Kulturwirtschaft angebotene Flatrate-Modelle eine zentrale Rolle spielen.

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