#Medienpolitik

Mit jedem Rundfunkstaatsvertrag wird die Halde größer und nicht kleiner

von , 1.6.09

Es war am 12. August letzten Jahres. Da zog der Intendant des Hessischen Rundfunks Helmut Reitze (Foto) im Rahmen einer Anhörung im Hessischen Landtag zum Zwölften Rundfunkänderungsstaatsvertrag folgendes Fazit:

“Wir haben es hier mit einer Überregulierung zu tun, die der ARD und dem Hessischen Rundfunk in ihrer Auswirkung keine angemessene Teilhabe mehr an der Medienentwicklung gewährleistet. Eine Umsetzung dieser Vorgaben entwertet erstens unsere Online-Angebote und gefährdet ihren Bestand und belastet zweitens unsere zahlreichen kleinteiligen technokratischen Vorschriften, deren Auslegung vermutlich sehr zeitnah eine große Zahl von Gerichten beschäftigen wird.”

Und er beendete seine Ausführungen: “Ich bitte Sie deshalb, dem Zwölften Rundfunkänderungsstaatsvertrag in dieser Form keine Zustimmung zu geben.”

Wer den weiteren Gang der Dinge verfolgte, konnte feststellen, dass es an dem vorliegenden Staatsvertrag keine wesentlichen Änderungen gab. Es änderte sich allerdings die Auffassung der Intendanten. Am 29. Januar waren sich im Sächsischen Landtag alle einig: die Politik soll den Staatsvertrag schnell verabschieden und alle offenen Fragen beim 13. Rundfunkänderungsstaatsvertrag klären.

Doch wozu beschließt die Politik Gesetze und Staatsverträge? Gesetze und Staatsverträge  sollten sich den Anforderungen der Zukunft stellen, Entwicklung ermöglichen sowie Probleme lösen, die sich aus früheren Gesetzen oder Staatsverträgen ergeben haben.

Und da hat sich viel angestaut, mit jedem Rundfunkänderungsstaatsvertrag wurde die Halde größer und nicht kleiner. Drei Beispiele sollen hier reichen:

  1. Mit dem Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrag wurde uns versprochen, dass zeitnah bis zum Jahre 2009 ein neues Rundfunkgebührenmodell entwickelt würde, um so einen der größten Unsinnigkeiten zu beseitigen: auch, wenn ein Mensch nur einmal an einem Ort Fernsehen oder Radio hören kann, kann es sein, dass er mehrfach Rundfunkgebühr bezahlen muss: zu Hause, im Garten, im Dienstwagen und vielleicht auch in der Nebenwohnung. Vor vier Jahren wurde versprochen, dass dies heute gelöst ist. Nun werden wir auf 2013 vertröstet.  Für eine solche Marginalie brauchen die Ministerpräsidenten immerhin acht Jahre. (Und ich glaube nicht, dass sie es bis 2013 schaffen werden.)
  2. Im Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrag wurde auch eine Befreiungsregelung parallel mit den Hartz-IV-Bescheiden geschaffen. Es stellte sich heraus, dass die Gebühreneinzugszentrale (GEZ) zur größten deutschen Datensammelbehörde wurde und alle Hartz-IV-Bescheide noch einmal in Kopie abheftete. Zeitnah intervenierten die Datenschutzbeauftragten im Jahre 2005 und forderten, dass diese Regelungen zurückzunehmen sind. Bis heute gibt es keine Lösung. Bis heute ist unklar, wann es hier Änderungen gibt. Dabei ist das Problem von heute auf morgen zu lösen.
  3. Im Zehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag wurde das Trennungsverbot zwischen denjenigen, die Netzbetreiber sind und das Kabelnetz beherrschen, und denjenigen, die Programme anbieten, nicht durchgesetzt. In der Folge wurde Programmanbieter immer wieder diskriminiert. Doch in keinem Folgestaatsvertrag kam es zu entsprechenden Änderungen.

Jeder Rundfunkänderungsstaatsvertrag ist Stückwerk. Vielleicht geht es auch nicht anders. Allerdings sollte wenigstens nachjustiert werden. Doch diese geschieht nicht.

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MDR: Es scheint, dass einzelne Intendanten den Test nicht ernst nehmen

Welche Chancen eröffnet der 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag den klassischen Medienanbietern? Wer will alles im Medienbereich mitverdienen? Gibt es nicht neben Fernsehsendern oder Radioanbietern auch Kabelnetzbetreiber, die Programm machen? Welche Interessen verfolgen Plattformbetreiber wie zum Beispiel Premiere? Welche Geschäftsstrategien haben Suchmaschinenunternehmen wie zum Beispiel Google, das 80Prozent des Suchmaschinenmarktes in Deutschland beherrscht? Müsste dies nicht in die Rundfunkregulierung aufgenommen werden? Schließlich wandern immer mehr Menschen, vor allem Jugendliche, ins Internet ab, bilden sie sich dort ihre Meinung. Haben ARD und ZDF, RTL und Pro 7 mit dem jetzt vorliegenden Staatsvertrag eine digitale Zukunft? Es ist nicht davon auszugehen, dass innovative Ideen befördert werden.

Die Medienanbieter der Zukunft, die Kabelnetzbetreiber, die Plattformanbieter, die Suchmaschinenbetreiber wollen die Daten der Endkunden, sie wollen die Nutzerprofile, sie wollen wissen, wann wer wo wie was nutzt, um ihre Werbung personengenau schalten zu können.

Darauf muss die Medienpolitik reagieren. Sie müsste sich der Frage stellen: Wie kann man in der medialen digitalen Zukunft die Anonymität des Einzelnen sichern? Diese Frage muss zeitnah beantwortet werden, die entsprechenden Regelungen müssen zeitnah umgesetzt werden. Heutzutage ist es noch möglich, dass die heute frei empfangbaren Sender helfen könnten, eine solche Plattform, die Anonymität sichert, durchzusetzen.

Doch dieser Frage stellt sich der Zwölfte Rundfunkänderungsstaatsvertrag nicht. Sein Kern ist der Drei-Stufen-Test, den die ARD-Anstalten, ZDF und auch das Deutschlandradio durchführen sollen. Darin soll unter anderem geprüft werden, welche Auswirkungen die neuen Telemedienangebote – also nicht das, was über Fernsehen und Radio verbreitet wird, sondern übers Internet – auf den Medienmarkt haben.

Doch sollen die Auswirkungen nun gering oder möglichst groß sein? Worum geht es denn bei Medienangeboten? Man kämpft um die Aufmerksamkeit. Sollte man als Gremienvertreter nicht dafür kämpfen und sorgen, dass der Sender möglichst viel Aufmerksamkeit erreicht? Wie kann es sein, dass Gremienvertreter froh sind, wenn ein Angebot nicht einmal die Hälfte des Marktes erreicht? Müsste man dann nicht das Angebot zurückweisen und den Sender beauftragen darzustellen, wie man die Mehrheit erreichen kann? Schließlich zahlen ja auch fast alle die Rundfunkgebühr.

Innerhalb des Drei-Stufen-Tests soll auch der publizistische Mehrwert der Angebote bestimmt werden. Die Intendanten sollen diesen Mehrwert nachweisen, die Gremien sollen dies prüfen. Doch warum soll dies nur für die Telemedienangebote gelten? Wenn die Angebote im Internet nur die Verlängerung der Radio und Fernsehprogramme im Internet sein sollen, dann sollte doch das gesamte Programm auf publizistischen Mehrwert geprüft werden. (Um eines klarzustellen: Auch Unterhaltung und Sport können einen publizistischen Mehrwert haben.) Dies wäre doch nur konsequent.

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WDR Rundfunkrat: Jedes Gremienmitglied muss mindestens drei Experten in sich vereinigen

Der Drei-Stufen-Test soll durch die Gremienmitglieder durchgeführt werden. Manche sehen dies als Chance, die Gremien zu stärken, sie unabhängiger vom Intendanten zu machen, ihnen mehr Mitsprache zu geben. In den Gremien sitzen Vertreter gesellschaftlich-relevanter Gruppen, Vertreter von Politik, Regierung, Wirtschaft, Jugend, Kultur, Kirche und Sport. Haben die Gremien die Experten, die den Anforderungen eines solchen Tests gerecht werden können und über den nötigen Fachverstand verfügen? Es wäre ein Zufall.

Denn kein Verband hat seinen Vertreter mit Hinblick auf den Drei-Stufen-Test ausgewählt. Kann man sich die Qualifikationen in Kürze erarbeiten? Nun, dies ist schwer. Jedes Rundfunkratsmitglied muss in sich nämlich mindestens drei Experten vereinigen: Man muss in der Lage sein, den publizistischen Mehrwert abzuschätzen. Doch können die Gremienvertreter, die ehrenamtlich tätig sind und ihrer Arbeit nachgehen, die vielen Angebote überhaupt sichten? Welcher Rundfunkrat ist Medienökonom und kann die Marktauswirkungen abwägen? Wer kann einschätzen, ob die Methode der Gutachter zum marktlichen Gutachten unangreifbar ist? Und wer verfügt über den juristischen Sachverstand, um die entsprechenden Beschlüsse in der Sprache der Europäischen Kommission zu verfassen?

Dies alles macht deutlich: die Rundfunkräte bedürfen einer externen Unterstützung. Auch wenn der Drei-Stufen-Test kein Public-Value-Test ist: um ihn sach- und fachgerecht durchzuführen, hätte es einer zusätzlichen Institution bedurft. Um die Marktauswirkungen abschätzen zu können, hätte man auf die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) zurückgreifen können. Diese hat in den letzten 10 Jahren gezeigt, dass sie schnell und unabhängig Marktanalysen vornehmen kann.

So fördert der Drei-Stufen-Test fördert nur das Gutachterwesen. Der MDR hat hierfür schon über 700.000 Euro eingestellt, das ZDF 1,25 Millionen Euro. Es ist davon auszugehen, dass alle Anstalten zusammen über 10 Mio. Euro für Gutachten ausgeben werden.

Der Drei-Stufen-Test bündelt die Kraft der Gremien auf einen – geschlossenen, möglichst nicht öffentlichen – bürokratischen Vorgang. Mittlerweile habe ich drei Ordner voller Gutachten, Stellungnahmen und Vorlagen. Viele Fragen sind noch offen. Es scheint, dass einzelne Intendanten den Test nicht ernst nehmen: Wieso lehnt es die MDR-Geschäftsführung ab, innerhalb von 6 Wochen den Gesamtbestand des MDR-Telemedienangebotes darzustellen, wie der MDR-Haushaltsausschuss Mitte Dezember einforderte? Wieso braucht man für die Zusammenstellung aller Angebote über vier Monate? Will man das eigene Angebot erst noch bereinigen?

Wieso einigen sich die Gremienvorsitzenden darauf, dass der ganze Vorgang möglichst nicht öffentlich ablaufen soll? Dritte dürfen zwar Stellung nehmen, sollen jedoch nicht angehört werden. Sie bekommen weder die marktlichen Gutachten noch die Erwiderung der Intendanten auf ihre Stellungnahmen zu sehen. Angeblich könnten sie sich so Rechtspositionen auf dauerhafte Beteiligung erarbeiten. Die Gremienvorsitzenden schlossen sich dieser Auffassung der Intendanten an und beschlossen gleich eine Mustersatzung – die zu erweitern sich in keinem Rundfunkrat eine Mehrheit fand.

Wieso kämpft man so gegen die Öffentlichkeit? Weil die der ganze Test als Kampf aufgefasst wird. Es wird jedoch nicht um die Zukunft von ARD und ZDF gekämpft, sondern gegen den VPRT und die Verlage. So wird zum Schluss das umgesetzt, was die Intendanten wollen, vielleicht mit minimalen Abstrichen. Es ist nicht davon auszugehen, dass innovative Ideen entstehen bzw. befördert werden.

Sicher, zum Schluss haben alle Intendantinnen und Intendanten für den 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag plädiert. Doch die ARD-Anstalten haben doppelt gespielt. Denn sie haben zwei Gutachten zum Staatsvertrag in Auftrag gegeben. In einem Gutachten geht es darum, ob man dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zeitliche und inhaltliche Grenzen für sein Angebot im Internet setzen kann. Mit dem zweiten Gutachten sollen wettbewerbsrechtliche Fragestellungen geklärt werden.

Warum schaffen wir uns mit einem Staatsvertrag, mit den Regelungen in diesem Staatsvertrag mehr Probleme, statt dass wir medienpolitische Probleme lösen? Der Grund ist ganz einfach:
Deutschland ist in Europa ein medienpolitisches Leichtgewicht.

Dazu nur ein Beispiel: In Frankreich hat der dortige Präsident festgelegt, dass die Werbung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk reduziert wird. Um die Ausfälle zu reduzieren, hat er gesagt, dass sowohl die Unternehmen der Telekommunikationsindustrie als auch die Unternehmen der Werbeindustrie entsprechende Abgaben zu leisten hätten. Dies wäre in Deutschland nicht möglich. Als dann vor der EU das entsprechende Verfahren lief, ist Sarkozy hingefahren, hat sich dagegen ausgesprochen, und das gesamte Verfahren gegen Frankreich war mit einem
Wort eingestellt.

Ich kann nur feststellen, dass sich Frankreich für sein Modell vor der Europäischen Union einsetzt, während sich Deutschland die Bedingungen von der Europäischen Union kleinteilig diktieren lässt.

Dass wir diese Situation jetzt haben, liegt jedoch nicht nur an den Ministerpräsidenten. Schließlich haben die Intendantinnen und Intendanten, zumindest indirekt, an dem Brüsseler Kompromiss mitgearbeitet. Sie hätten doch viel eher und lautstark intervenieren können. Anscheinend geht es vielen von ihnen um ihre Anstalt, um ihr Fürstentum und nicht um die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland.

Ja, die in Deutschland regierenden Medienpolitiker sind visionslos. Sie machen Realpolitik. Und da dient auch Medienpolitik vor allem dem Machterhalt. Nach einer grundlegenden Reform hätte man vielleicht sein Landesfenster und somit die Plattform für die eigene Regierung verloren.

Sicher, die ist eine Zweckentfremdung. Wer die Urteile des Bundesverfassungsgerichts liest, wird feststellen, dass Medien nicht eine Freiheit an sich haben, sondern eine der Demokratie dienende Freiheit. Dies gilt übrigens auch für die privaten Sender. Sie alle sollen der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung, der unabhängigen Berichterstattung dienen.

Seit Jahren werden die vorgelegten Staatsverträge dem nicht mehr gerecht.

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